Der Landesparteitag möge zur Weiterleitung an den Bundesparteitag und Kenntnisgabe an die Bundesdelegierten sowie den Parteivorstand beschließen:
Die SPD lehnt jede Umstellung der täglichen Höchstarbeitszeit auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit ab. Den Mitgliedern der SPD-Bundestagsfraktion sowie den sozialdemokratischen Mitgliedern des Kabinetts wird aufgetragen, entsprechende Gesetzesänderungen nicht zu unterstützen.
Die Funktionär*innen und Mandatsträger*innen der SPD werden aufgefordert, sich in der aus der CDU begonnenen Debatte um Mehrarbeit entschieden gegen jede politische Maßnahme zu stellen, die eine Ausweitung oder Flexibilisierung der Arbeitszeit oder sonstige Verschlechterung der Arbeitsbedingungen darstellt.
Seit Wochen lancieren Bundeskanzler Friedrich Merz und weitere CDU-Funktionäre einen breiten Angriff auf den Acht-Stunden-Tag. Dass es dabei um etwas anderes geht als die Flexibilisierung zum Vorteil der Arbeitnehmer, sondern schlicht um die Schaffung des rechtlichen Rahmens für die Verpflichtung von 45 Millionen Erwerbstätigen zu mehr Arbeit unter für sie ungünstigen, für die Unternehmen profitableren Bedingungen, wird durch die parallel dazu aus der Union begonnene Debatte um die volkswirtschaftsschädliche Work-Life-Balance und die generell schlechte Arbeitsmoral der Deutschen deutlich.
In der Tat ermöglicht das Arbeitszeitgesetz bereits heute eine tägliche Höchstarbeitszeit von 10 Stunden, die im Verlauf von 6 Monaten ausgeglichen werden muss. Und das soll nicht reichen? Wofür eigentlich soll in Zukunft mehr gearbeitet werden?
Seit 1991 ist die Arbeitsproduktivität pro Stunde in Deutschland um 40% gestiegen. Die Reallöhne stiegen in der gleichen Zeit um 13%. Der Löwenanteil der gestiegenen Wertschöpfung wurde von einigen Spitzenverdienern (Managergehälter stiegen in den letzten 5 Jahren um den 56-fachen Wert der Reallöhne) und den milliardenschweren Großaktionären der maßgeblichen Unternehmen einbehalten. 55% der Vermögenszuwächse seit 2012 landeten bei den reichsten 1%.
Währenddessen befürchten schon jetzt 61 % der Bundesbürger an Überlastung zu erkranken, jeder Fünfte stuft die Gefahr, an Burnout zu erkranken, als hoch ein. 2023 stieg die Zahl der tatsächlich an Burnout erkrankten um 20 % gegenüber dem Vorjahr, als Gründe wurden insbesondere Termindruck und Überstunden genannt.
Diese bereits bestehende gesundheitliche Belastung von Arbeitnehmern würde durch eine Ausweitung der täglichen Arbeitszeit erheblich ansteigen: Längere Arbeitszeiten als 8 Stunden täglich erhöhen das Risiko für psychische sowie physische Erkrankungen wie Herzinfarkte, Schlaganfälle, Kopfschmerzen, Krebs, Schlafstörungen uvm. Auch steigt das Unfallrisiko sowohl am Arbeitsplatz als auch auf dem Weg von der Arbeit nach der 8. Arbeitsstunde exponentiell an. Schließlich leidet auch die soziale Teilhabe sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unter längeren Tagesarbeitszeiten und genereller Arbeitszeitflexibilisierung, hiervon sind Frauen überdurchschnittlich betroffen.
Dieses Nebeneinander von Vermögens- wie Einkommenszuwachs für einige Wenige auf der einen, schlechteren gesundheitlichen wie sozialen Perspektiven für Beschäftigte auf der anderen Seite braucht niemanden zu wundern: Zweck des Wirtschaftens im Kapitalismus ist, dass Reiche reicher werden, Mittel dafür die Arbeit der Arbeitenden. In der Konkurrenz der Unternehmen setzt sich durch wer mehr, besser oder billiger produziert als die Konkurrenz. Bevorzugtes Mittel dafür ist die Produktivitätssteigerung durch technologischen Fortschritt, die sich bei den Beschäftigten durch Intensivierung und Verdichtung der Arbeitszeit bemerkbar macht: Wer für das Meeting nicht mehr ins Büro fahren muss, sondern über Zoom teilnimmt, spart dadurch Zeit, in der andere Arbeit geleistet werden kann und in der Folge auch muss. Sobald die Produktivitätssteigerungen nicht mehr ausreichen, um in der Konkurrenz zu bestehen, wird auf schlichte Ausdehnung des Arbeitstages abgestellt. Das erleben wir jetzt. Zur Wehr setzen kann man sich dagegen nur kollektiv. Will die SPD eine Partei sein, die die Interessen der arbeitenden Bevölkerung vertritt, muss sie dieses Kollektiv werden und sich der angestrebten Arbeitszeitverlängerung und -flexibilisierung entschieden entgegenstellen.