2023/II/Verk/2 Der Senat wird aufgefordert, mögliche Varianten für den Schienenausbau in der Region Hamburg breit zu prüfen

Der SPD-Landesparteitag Hamburg möge beschließen:

1. Der Landesparteitag der Hamburger SPD fordert den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg auf, möglichst im Zusammenwirken mit der Landesregierung von Schleswig-Holstein, neben den verbliebenen Varianten des Verbindungsbahnentlastungstunnels (VET) mit seinen ergänzenden Bauvorhaben auch den Alternativvorschlag NordTAKT zum Ausbau der Schienenverkehrskapazitäten in einem mehrstufigen Verfahren standardisiert hinsichtlich Verkehrsaufkommen, Verkehrsleistung, Reisezeiten und Reduzierung von Stau-, Umwelt- und Klimabelastungen dieser Bahnausbaukonzepte und Zielfahrpläne mindestens stadtteilscharf über das gesamte Schienennetz des Nordens zu prüfen und zu vergleichen. Die Ergebnisse sind der Öffentlichkeit vorzustellen und breit mit allen Interessierten und Betroffenen in den beteiligten Bundesländern zu diskutieren.

2. Die Berechnung des Nutzens verschiedener Fahrplanmodelle gemäß den VET-Entwürfen und der in der Folienpräsentation „NordTAKT: Perspektive für HH“ vorgesehenen Fahrpläne und Bauvorhaben soll hinsichtlich der folgenden Kriterien erfolgen:

(1)Verkehrsaufkommen und –leistung, zu erwartende Fahrgastzahlen netzweit auf den jeweiligen Streckenabschnitten,

(2)Kapazität der neu zu bauenden oder erweiterten Strecken,

(3)Menge des von der Straße verlagerten Personen- und Güterverkehrs,

(4)Veränderungen der Reisezeiten und Umsteigevorgänge,

(5)Baukosten,

(6)zu erwartende Erhöhung der Flexibilität bei Unfällen, Störungen, Sanierungsmaßnahmen etc.,

(7)zu erwartende Belastungen für die Anwohner*innen während der Bauzeit,

(8)zu erwartende dauerhafte Verschlechterungen des Schnellbahnangebots durch geografisch-räumliche Verlagerung der bisherigen S-Bahnstationen „Dammtor“, „Sternschanze“ und „Holstenstraße“ und/oder durch deren Verlagerung in ca. 20 bis 34 Meter Tiefe,

(9)CO2– und andere Treibhausgas-Emissionen während der Bauphase, z.B. durch das Verbauen großer Mengen von Stahl und Beton, dabei sollen auch die Emissionen einbezogen werden, die am Produktionsort der Baumaterialien anfallen, auch wenn diese in den offiziellen Berechnungen der Treibhausgas-Emissionen nicht dem Verbauungsort zugerechnet werden.

(10) Zu erwartende Einschränkungen der Schienenverkehre während des Baus der neuen Schieneninfrastruktur und der damit verbundenen Belastungen vor allem der (Schnell-)Bahnnutzer*innen.

3. Das Optimum für die Maßnahmenlisten ist in die im Bund laufende Aktualisierung des Deutschlandtaktes zu integrieren.

Begründung:

Ziel der Verkehrspolitik muss es sein, dem Schienenverkehr als Rückgrat des Umweltverbundes für Hamburg und die umliegenden Bundesländer die nötige Attraktivität und Kapazität für eine umfassende Verkehrsverlagerung zu geben. Der 2019 vom Bundesverkehrsministerium vorgeschlagene Verbindungsbahnentlastungstunnel (VET), mit dem die S-Bahn zwischen Hauptbahnhof über Sternschanze bis Altona unter die Erde verlegt werden soll, dokumentiert die begrüßenswerte Bereitschaft des Bundes, die Schienenkapazitäten in Hamburg mit mehreren Milliarden Euro zu erweitern. Diesem sinnvollen Ziel stehen erhebliche Nachteile des Tunnels gegenüber: Die Baustellen werden viele Menschen jahrelang behindern und anschließend auf lange zeitaufwändige Wege unter die Erde zwingen. Der Alternativvorschlag NordTAKT- erhöht die Schienenverkehrskapazitäten weit stärker als die bisherigen Pläne, erreicht genauso die Ziele des Deutschlandtaktes und vermeidet gleichzeitig die Nachteile des Tunnels im Zentrum Hamburgs. Dieses gelingt durch eine weiträumige Verlagerung der Verkehrsströme Schleswig-Holsteins, so dass diese die Hansestadt nicht mehr in West-Ost-Richtung auf der Verbindungsbahn durchqueren, sondern auf mehreren Korridoren in der ohnehin dominierenden Nord-Südrichtung.

Die vom Senat nun favorisierten Planungsvarianten der Südtrasse für den Verbindungsbahnentlastungstunnel (VET) sehen in einer Variante die Verlagerung der S-Bahnstation Holstenstraße an die Max-Brauer-Allee und in beiden Varianten die Verlagerung der S-Bahnstation Sternschanze an die U-Bahn-Feldstraße vor. Die Stadtquartiere sind jedoch um die 1866 in Betrieb genommene Verbindungsbahn herum gewachsen. So ist die S-Bahnstation Sternschanze mit etwa 35.000 täglichen Fahrgästen zentraler Zugangspunkt zum Stadtteil Sternschanze und in das angrenzende südliche Eimsbüttel.

Mit der im Frühling 2023 vorgestellten Machbarkeitsstudie zum Tunnel sind weiterte Nachteile sichtbar geworden: So soll die S-Bahnstation Dammtor wegen der Unterfahrungen von U1 und geplanter U5 ihren Bahnsteig in 34 Meter Tiefe haben. Das sind elf Stockwerke unter der Erde. Auch bei den anderen Stationen wird es dauerhaft zu deutlich längeren Fahrzeiten wegen der Zuwege weit unter der Erde kommen. Gut zehn Jahre Bauarbeiten quer durch die ganze Innenstadt mit offenen Baugruben von 220 Metern Länge und mindestens sechseinhalb Jahre eingleisiger Sperrung der City-S-Bahn zwischen Hauptbahnhof und Landungsbrücken werden diesen Tunnelbau nicht gerade beliebt machen.

 Von daher wäre es entschieden zu begrüßen, wenn auf diese erheblichen Baubelästigungen und die dauerhaften Verschlechterungen des Schnellbahnverkehrs in Hamburg verzichtet werden könnte, wenn die mit dem Bau eines VET verfolgten Ziele des Deutschlandtaktes durch andere Projekte wie NordTAKT ebenfalls erreicht werden könnten.  Zu den Prüfforderungen:  Mit dem NordTAKT-Konzept kann der Schienenverkehr gegenüber den Tunnelplänen sogar deutlich mehr gesteigert werden, als die bisherigen Ausbaupläne vorsehen. Das NordTAKT-Konzept sieht den Neubau von Bahnstrecken entlang der beiden nach Norden führenden Autobahnen A1 (bis mindestens Oldesloe) und A7 (bis mindestens Neumünster) vor. Diese neuen Verbindungen würden Hamburg auf einer neuen Regionalbahnroute von Harburg über Wandsbek, Barmbek und den Flughafen erschließen. Die so entstehende neue Mittelachse wäre eine direkte Verbindung von der Hamburger Innenstadt über den Hamburger Norden und den Flughafen nach Kiel – ein viel kürzerer Weg als heute, wo die Züge über die Engpässe Verbindungsbahn und Pinneberg – Elmshorn laufen. Die Fernzüge führen dann über Bad Oldesloe nach Norden. Auf den VET kann dabei verzichtet werden, da die Regional- und Fernzüge nicht mehr die Verbindungsbahn belasten.   Kernargumente für das NordTAKT-Konzept   Kapazitäten schaffen für eine an den Klimazielen orientierte Mobilitätswende! Überlastungen im Zentrum reduzieren durch großräumige Neuordnung der Verkehrsströme. Neue ökologische & soziale Belastungen möglichst vermeiden! Gewachsene Strukturen erhalten Konzentration des Vorhabens und der verfügbaren Mittel auf den Bereich,      von dem die meisten Fahrgäste profitieren würden! 

 

Die Güterumgehungsbahn würde durch das NordTAKT-Konzept frei für S-Bahnring- und Querverkehrverkehre, da der Schienengüterverkehr entlang der A1 bis Bad Oldesloe fahren würde. So kann für Autofahrer auf der A7 und der A23 ein attraktives Angebot zum Umsteigen entstehen. Sie können die S-Bahn nehmen, anstatt in Stellingen von der Autobahn und dann über den Siemersplatz zur Arbeit nach Winterhude oder Barmbek zu fahren. Auf den Ausbau der A23 zwischen Pinneberg und Eidelstedt kann so problemlos verzichtet werden.

 

Auch für den Ausbau der S-Bahn nach Rahlstedt / Ahrensburg / Bad Oldesloe würde das NordTAKT-Konzept eine wesentliche Unterstützung bedeuten, da diese Strecke von Güter-, Fern und Regionalexpresszügen entlastet und damit eine zusätzlich Express-S-Bahn möglich wird.

Mitunter wird befürchtet, dass das NordTAKT-Konzept die Planungen für den S4-Ausbau gefährden könnte, weil mit ihm eventuell das Planfestungsverfahren für den viergleisigen Ausbau zwischen Rahlstedt und Ahrensburg angefochten werden könnte. Im Gegenteil ist zu betonen, dass für den begonnenen Ausbau der S4 nach Rahlstadt / Ahrensburg / Bad Oldesloe das NordTAKT-Konzept eine wertvolle Unterstützung bedeuten würde. Auch bei – wie jetzt bis Rahlstedt begonnen und bis Ahrensburg in der Planung – viergleisigem Ausbau der Strecke bliebe ohne Verlagerung der Güterverkehre auf eine Neubaustrecke entlang der Autobahn A1 das Problem bestehen, dass Güterzüge aus Richtung Lübeck in Wandsbek auf die Güterumgehungsbahn Richtung Elbbrücken wechseln und dabei das Gleis in Gegenrichtung niveaugleich kreuzen müssten. Damit würden sie bei dem durch eine deutliche Verlagerung von der Straße auf die Schiene zu erwartenden Verkehrsaufkommen alle Personenverkehre behindern. Auch hinter Ahrensburg ließe sich ohne Entlastungsstrecke entlang der Autobahn A1 kein häufiger S-Bahnverkehr realisieren. Zum mehrstufigen Prüfverfahren: Das Prüfverfahren soll mit seiner Informationsaufbereitung auch der breiten politischen Diskussion über den Bau von Schienenverkehrswegen dienen, die für 100 und mehr Jahre die Verkehrsinfrastruktur prägen und jeweils Milliarden Euro kosten werden. Deshalb soll es ein mehrstufiges Prüfverfahren geben. Nach der grundlegenden Vergleichsberechung des Verbindungsbahnentlastungstunnels und der zusammen mit ihm für den Deutschlandtakt vorgesehenen ergänzenden Bauvorhaben und Zielfahrplänen einerseits und des NordTAKT-Konzepts mit seinen Zielfahrplänen und Bauvorhaben andererseits, sollten diese der Öffentlichkeit vorgestellt und breit mit allen Interessierten und Betroffenen in den beteiligten Bundesländern diskutiert werden. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse dieser Diskussionen sollten dann die Detailkonzepte mit erweiterten Zielfahrplänen erarbeitet werden, die verschiedene Variationsmöglichkeiten aufzeigen. Dies sollte in Hinblick auf verschiednen große Fahrgastaufkommen oder regionale Belange erfolgen. Die Aufbereitung der Daten im Rahmen eines solchen Prüfverfahrens würde ca. zwei Monate in Anspruch nehmen. Die NAH.SH als Aufgabenträger für den Nahverkehr in Schleswig-Holstein verfügt über die entsprechenden Daten für Schleswig-Holstein, Hamburg und Nord-Niedersachsen.

Hinweis: Die weiteren Folien der Präsentation „NordTAKT Perspektive für HH – Folienpräsentation“ sowie die ausführlich Erläuterung des Konzepts, die hier nicht in die Begründung aufgenommen wurden, können eingesehen werden unter (https://naturfreunde-hh.de/wp-content/uploads/2023/09/NordTAKT-Perspektive-fuer-HH-Folienpraesentation-1.pdf , https://naturfreunde-hh.de/wp-content/uploads/2023/09/Argumente-NordTAKT-Konzept-fuer-Hamburg-1.pdf ).

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Beschluss: Annahme in geänderter Fassung
Text des Beschlusses:

Der Landesparteitag der SPD Hamburg begrüßt die erheblichen Anstrengungen der Stadt Hamburg und des Bundes mit Blick auf den Hamburg-Takt und den Deutschland-Takt, den Schienenverkehr in unserer Stadt und darüber hinaus deutlich auszubauen, um den Marktanteil der Schiene sowohl im Personen- wie auch im Güterverkehr deutlich zu steigern. Hierzu zählen im Bereich Personennah- und Regionalverkehr zuvorderst die Schnellbahnprojekte U4 nach Horner Geest, U4 nach Grasbrook und weiter nach Wilhelmsburg/Harburg, U5 von Bramfeld bis zu den Arenen, U3-Haltestelle Fuhlsbüttler Straße, S4 nach Bad Oldesloe, S5 nach Kaltenkirchen und S6 von Neugraben nach Osdorfer Born sowie die mögliche Aktivierung der nördlichen Güterumgehungsbahn für den Personenverkehr, die mögliche Reaktivierung der Bahnstrecke Bergedorf – Geesthacht und der mögliche zweigleisige Ausbau der S1 zwischen Blankenese und Wedel. Im Bereich Regional- und Fernverkehr stehen zuvorderst der neue Fernbahnhof Altona, der Ausbau der Verbindungsbahn mitsamt neuem Verbindungsbahnentlastungstunnel, der Ausbau des Hauptbahnhofs mit zusätzlichen Gleisen und Bahnsteigen, zwei weitere Gleise für die Elbbrücken sowie möglicherweise zusätzliche Regionalbahnhöfe in Berliner Tor, Holstenstraße, Neugraben, Sternschanze und Wilhelmsburg auf der Agenda. Mit all diesen Projekten haben sich Hamburg und der Bund für Hamburg sehr viel vorgenommen. Der Landesparteitag unterstützt diese Projekte ausdrücklich.

Beschluss-PDF:
Überweisungs-PDF: