2022/II/Recht/8 Verbraucher:innenrechte stärken – Öffnungsklauseln der EU-Warenkauf-Richtlinie 2019/771 stärker nutzen!

Status:
Zurückgezogen

Der Landesparteitag möge beschließen, dass die Mitglieder der Bundestagsfraktion der SPD aufgefordert werden, sich dafür einzusetzen, dass

  1. der vom Unionsgesetzgeber geforderten Haftungszeitraum des Verkäufers für Mängel bei Lieferung einer Kaufsache in § 438 Absatz 1 Nummer 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches über das in der Richtlinie (EU) 2019/771 in Artikel 10 Absatz 1 vorgegebene Mindestmaß hinaus auf vier Jahre anzuheben, unter Ausnutzung des in Artikel 10 Absatz 3 der Richtlinie geregelten Gestaltungsspielraums, sowie
  2. sicherzustellen, dass Verbraucher:innen die ihnen bei Mängeln der Kaufsache zustehenden Gewährleistungsansprüche auch dann noch effektiv geltend gemacht werden können, wenn der Mangel einer Sache erst kurz vor Ende der Gewährleistungsfrist offenbar wird und
  3. die Frist zur Beweislastumkehr in § 477 des Bürgerlichen Gesetzbuches über das vom Unionsgesetzgeber in der Richtlinie (EU) 2019/771 in Artikel 11 vorgegebene Mindestmaß hinaus, unter Ausnutzung des in Artikel 11 Absatz 2 geregelten Gestaltungsspielraums in angemessener Weise zu Gunsten der Stärkung eines effektiven Verbraucherschutzes auf zwei Jahre anzuheben.
Begründung:

Insbesondere bei Produkten, die einer langen Nutzung dienen sollen, gehen Verbraucher:innen berechtigterweise davon aus, dass diese einige Jahre tatsächlich funktionstüchtig bleiben und bei Übergabe an sie mangelfrei sind. Zeigt sich jedoch nach mehr als zwei Jahren ein Mangel an dem gekauften Produkt, der bereits von Anfang an bestand, für den Käufer aber nicht erkennbar war, kann dieser sich nicht mehr auf seine Gewährleistungsansprüche berufen, weil diese verjährt sind: Nach § 438 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzesbuches (BGB) verjähren nach derzeit geltendem Recht Gewährleistungsansprüche im Kaufrecht wegen Sachmängeln nach zwei Jahren mit der Folge, dass der Käufer seine Ansprüche gegenüber dem Verkäufer nicht mehr durchsetzen kann und damit auf dem Schaden sitzen bleibt. Erschwerend kommt hinzu, dass nach deutschem Recht die Verjährungsfrist für diese Gewährleistungsansprüche ab dem Zeitpunkt des sog. Gefahrenübergangs, also beispielsweise der Lieferung des Produkts, zu laufen beginnt.

In der Praxis wirken sich kurze Verjährungsfristen vor allem im Bereich der Automobilwirtschaft und des Elektrohandels zu Lasten von Verbraucher:innen aus, da dort das Bedürfnis der Verbraucher:innen nach der Absicherung gegen Mängel, die erst nach Ablauf der Verjährungsfrist des Gewährleistungsanspruchs zum Erscheinen kommen, auch deswegen sehr stark ist, weil diese Produkte regelmäßig mit einer langen Nutzungsabsicht zu häufig sehr hohen Preisen erworben werden. Dieses Bedürfnis nach Absicherung gegen auftretende Mängel manifestiert sich in der immer größer werdenden Nachfrage von zusätzlich abschließbaren Gewährleistungs- und Garantieversicherungen. Diese verteuern das Produkt erheblich und bieten teils nur einen lückenhaften Schutz. Zudem ist ein Vergleich solcher Versicherungsprodukte nur mit Mühe möglich, weil sich die Vertragsbedingungen erheblich unterscheiden und über teils automatische Verlängerungen weitere Risiken bergen.

Die Richtlinie (EU) 2019/771 des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs, zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/2394 und der Richtlinie 2009/22/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 1999/44/EG vom 20. Mai 2019 hat die bisher geltende Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (1999/44/EG) mit Wirkung zum 1. Januar 2022 abgelöst. Mit der neuen Richtlinie wurde ein ausgewogenes Verhältnis zwischen einem hohen Verbraucher:innenschutzniveau und einem funktionierenden Binnenmarkt angestrebt, indem bestimmte Anforderungen an Kaufverträge festgelegt und weitergehend als bislang harmonisiert wurden. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssten bis zum 1. Juli 2021 die Vorschriften der Richtlinie umgesetzt und seit dem 1. Januar 2022 auch angewandt haben. Diese haben unter anderem Änderungen hinsichtlich der Haftungsdauer des Verkäufers für Mängel und der Beweislastumkehr vorgesehen.

Das federführende Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz hat das „Gesetzes zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrags“ erarbeitet, um den Anforderungen des Unionsrechts Rechnung zu tragen. Der Bundestag hat dieses Gesetz im März 2021 verabschiedet, indes nicht den Gestaltungsspielraum genutzt, den der EU-Gesetzgeber den Mitgliedstaaten gegeben hat und verbleibt am unteren Limit des sicherzustellenden Verbraucherschutzes.

Wie bislang soll der Verkäufer auch in Zukunft nur für solche Mängel haften, die schon bei Gefahrübergang vorgelegen haben. Gemäß § 438 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 2 BGB gilt hierbei bisher eine Verjährungsfrist von zwei Jahren, die bereits ab Gefahrübergang zu laufen beginnt. Dies gilt auch dann, wenn der Mangel nicht erkennbar gewesen ist.

Die Warenkaufrichtlinie sieht in Artikel 10 Absatz 1 Satz 1 eine Haftung für Mängel vor, die zwei Jahre nach Lieferung der Ware offenbar werden. Allerdings wird den Mitgliedstaaten mit Artikel 10 Absatz 3 der Richtlinie die Möglichkeit eröffnet, längere Haftungsfristen und somit einen höheren Verbraucherschutzstandard als den bisher in Deutschland geltenden Regeln festzulegen. Hinsichtlich der Verjährung sehen Artikel 10 Absatz 4 der Richtlinie sowie der Erwägungsgrund Nummer 42 vor, dass Verjährungsfristen nach nationalem Recht nicht so gestaltet sein dürfen, dass sie die effektive Ausübung der Gewährleistungsrechte durch die Verbraucher:innen unterlaufen. Bei einem Mangel, der nach einem Jahr und elf Monaten auftritt, hätten Verbraucher:innen nach derzeit geltendem Recht in Deutschland lediglich einen Monat Zeit, um ihre Ansprüche mittels verjährungshemmender Maßnahmen geltend zu machen, bevor diese verjähren. Ziel der Richtlinie ist es unter anderem solche problematischen Konstellationen zu Lasten von Verbraucher:innen zukünftig zu vermeiden.

Daher ist eine Anpassung der Verjährungsfrist in § 438 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 2 BGB geboten. Verbraucher:innen können aufgrund des Zusammenfallens von Haftungs- und Verjährungsfrist in der Regel die ihr zustehenden Rechtsbehelfe entweder nur selten oder auch gar nicht bis zum Ablauf der Haftungsfrist bzw. Verjährungsfrist geltend machen. Da die Mitgliedstaaten längere Haftungsfristen nach Artikel 10 Absatz 3 der Richtlinie festlegen können, sollte der Bundesgesetzgeber im Interesse eines effektiven Verbraucher:innenschutzes zum einen über das in der Richtlinie vorgesehene Minimum für die Haftungsfrist hinausgehen und zum anderen die Verjährungsfrist so regeln, dass Gewährleistungsansprüche auch dann noch effektiv geltend gemacht werden können, wenn der Mangel einer Sache beispielsweise erst kurz vor Ende der Haftungsfrist offenbar wird.

Während in Deutschland eine zweijährige Verjährungsfrist gilt, greift in Island und Norwegen eine gesetzliche Frist von fünf Jahren ab Gefahrübergang für Verbraucher:innen, wenn es sich um langlebige Produkte handelt. Die Niederlande wiederum betrachten Produkte mit generell langlebigem Charakter individueller, sodass sich die gesetzliche Verjährungsfrist bei diesen an der erwartbaren Lebensspanne der Produkte orientiert. An diesen positiven Beispielen kann sich der deutsche Gesetzgeber orientieren.

Ein fundamentaler Bestandteil des Verbraucher:innenschutzrechtes ist die Beweislastumkehr. Nach allgemeinen Grundsätzen müssen die Verbraucher:innen im Verbrauchsgüterkauf nach den Grundsätzen der materiellen Beweislast darlegen und beweisen, dass der Mangel zum Zeitpunkt des Gefahrenübergangs schon vorlag. Nach der bisherigen Verbrauchergüterkaufrichtlinie griff zugunsten der Verbraucher:innen die Vermutung, dass der infrage stehende Mangel schon bei Lieferung bestand, für einen Zeitraum von sechs Monaten, was der deutsche Gesetzgeber in § 477 BGB umgesetzt hat. Nun verlängert sich diese Frist nach Artikel 11 Absatz 1, Absatz 2 der Warenkaufrichtlinie auf ein Jahr ab Lieferung der Ware, kann aber von den Mitgliedstaaten auf zwei Jahre ausgedehnt werden. In der Praxis können Verbraucher:innen ihre Rechtsbehelfe häufig nur so lange nutzen wie sie nicht beweisen müssen, dass der Mangel bereits bei Lieferung bestand – einen solchen Beweis können Verbraucher:innen in aller Regel nur schwer oder gar nicht erbringen. Zur Effektuierung des Verbraucher:innenschutzes wäre eine über den Mindestschutz hinausgehende Anpassung der Frist erstrebenswert.

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