2023/I/Arb/2 Staatliche verordnete Ausbeutung bekämpfen! Für ein faires Praktisches Jahr.

Status:
Annahme

Der Landesparteitag der SPD Hamburg möge zur Weiterleitung an den Bundesparteitag der SPD beschließen:

Die SPD-Bundestagsfraktion und die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung sollen darauf hinwirken, dass die Approbationsordnung für Ärzt*innen mit Blick auf den § 3 IV ÄApprO bzw. § 47 ÄApprO-E dahingehend angepasst wird, dass Studierende der Humanmedizin im Praktischen Jahr eine gerechte und faire Vergütung, welche mindestens 50% des tariflichen Einstiegsgehalts für Assistenzärzt*innen beträgt, erhalten. Die Deckelung der Geldleistungen wird gestrichen und die Verrechnung mit Sachleistungen unterbunden.

Begründung:

I. Menschenwürdiges Leben muss möglich sein.

Der letzte Abschnitt des sechsjährigen Medizinstudiums vor der ärztlichen Approbation ist das Praktische Jahr (PJ). In einem Umfang von 48 Wochen müssen Studierende drei Tertiale in der Chirurgie, Inneren Medizin und einem Wahlfach in einer Einrichtung mit Patient*innen-Versorgung absolvieren.

Schon vor dem eigentlichen Berufseinstieg werden Studierende vom Drei-Schicht-System  vereinnahmt: Nacht-, Wochenend- und Spätdienste sind keine Seltenheit. Die kräftezehrende Arbeit im Krankenhausbetrieb und Schichtsystem verlangt, wie man bei Mitarbeitenden der Pflege ebenfalls sehen kann, nach einer zumindest nahezu ebenbürtigen Zeit der Erholung. Dies ist wichtig, um die mentale und physische Gesundheit aufrechtzuerhalten, was dem individuellen Wohlbefinden, aber auch dem der Patient*innen zugutekommt.

Dass die Studierenden sich neben ihrer vorgeschriebenen Arbeitszeit von 40 Wochenstunden zudem in der Vorbereitung auf das dritte und letzte Staatsexamen befinden, resultiert allerdings nicht unbedingt darin, dass die wenige freie Zeit als Ausgleich genutzt werden kann. Der eigentliche Sinn des PJs, eine anwendungsbezogene Vertiefung erlernter Inhalte unter Anleitung erfahrener Ärzt*innen zu erhalten, erfordert außerdem ein gewisses Maß an Selbststudium, um möglichst geschult im Umgang mit einem breiten Spektrum an Krankheitsbildern zu sein. Doch wer hat Zeit, abends den spannenden Patient*innen-Fall mit der seltenen Erkrankung genau unter die Lupe zu nehmen, wenn die wichtigste Prüfung des gesamten Studiums immer näher rückt?

Wie bei Arbeitnehmenden besteht ein Anspruch auf insgesamt 30 Urlaubstage im gesamten Jahr: Doch hierzu zählen auch sämtliche Krankheitstage. Viele PJ-Studierende sind versucht, sich ihre Urlaubstage für die Examensvorbereitung aufzusparen. Es scheint nahezu ironisch, dass das in fünf Jahren angelernte Wissen wohl genutzt werden soll, um möglichst selbst nicht krank zu werden und dies, obwohl das Krankenhaus als solches die beste Grundlage bietet, sich eine Infektionserkrankung einzuholen.

Dass viele Studierende in dieser Zeit klinisch oder experimentell forschen, um eine Promotion zu erlangen, verschärft die Ausgangslage außerdem zusätzlich um einiges.

Eine dem Lebensunterhalt dienende Tätigkeit ist somit unzumutbar, denn zusätzlich ist die größte Herausforderung noch nicht genannt: Studierende im PJ müssen nach aktuellem Stand nicht vergütet werden. Eine Studie des Hartmannbundes ergab, dass 111 von 691 Krankenhäusern das PJ mit 0 Euro vergüten. Über 85% der Krankenhäuser vergüten es mit monatlich 0-400 Euro (https://www.praktischarzt.de/magazin/aufwandsentschaedigung-pj-lehrkrankenhaeuser/ zuletzt aufgerufen 26.11.2022). Dass ausgerechnet die ärztliche Approbationsordnung – die gesetzliche Grundlage – diese Ausbeutung schafft, stellt eine Bereicherung zugunsten des gewinnorientierten Gesundheitssystems dar und einem solchen Gesetz wird gern Folge geleistet.

Krankenhäuser in bevölkerungsärmeren, suburbanen Strukturen locken häufig mit einer Aufwandsentschädigung für Studierende, da besonders kleine Institutionen, die vom Fachkräftemangel stärker betroffen sind als Universitätskliniken, von diesen billigen Arbeitskräften profitieren und sogar auf sie angewiesen sind. Einige Studierende treiben o.g. Umstände auch in die Schweiz, da das PJ dortzulande mit durchschnittlich 700 bis 1500 Franken (580 bis 1200 Euro) vergütet wird. (https://www.praktischarzt.de/magazin/pj-schweiz/ zuletzt aufgerufen 26.11.2022)  Die Wahl, sein PJ-Tertial nicht im nächstgelegenen Klinikum oder gar in Deutschland zu absolvieren, geschieht demnach nicht ausschließlich, aber häufig finanziell motiviert.

Wer vor dem Praktischen Jahr keine ausreichenden Rücklagen schaffen konnte und ohne elterliche oder anderweitige finanzielle Unterstützung auskommt, verzichtet evtl. auf das Erfüllen des Wunsches, am Heimatklinikum von Koryphäen zu lernen. Dies treibt einen Keil zwischen Studierende, die aus verständlichen Gründen von ihrer finanziell-privilegierten Situation Gebrauch machen, nach freiem Ermessen den Standort ihres PJs wählen zu können, und jenen, die diese Privilegien nicht besitzen.

Im Übrigen gelten für PJ-Studierende u.a. das Mutterschutzgesetz, das Kündigungsschutzgesetz und das Arbeitszeitgesetz nicht. (https://www.hartmannbund.de/wp-content/uploads/2020/08/2020-05_I33_Rechtsstellung_PJler.pdf  zuletzt abgerufen am 26.11.2022) Auch dies muss sich im Sinne des Schutzes von Arbeitnehmer*innen und der sozialen Gerechtigkeit ändern.

 

II. Studierende im Praktischen Jahr tragen zum Krankenhausbetrieb bei.

 

Medizinstudierende haben im PJ bereits mindestens zehn Semester erfolgreich Medizin studiert, das sog. „Physikum“ (1. Staatsexamen) und das „Hammerexamen“ (2. Staatsexamen) bestanden. Viele dieser Studierenden haben bereits selbst geforscht und ein großer Anteil besitzt Berufserfahrung in der Pflege oder im Rettungsdienst. Insbesondere haben zu diesem Zeitpunkt alle PJ-Studierende bereits drei Monate Krankenpflegepraktikum und vier Monate Famulatur geleistet.

Der Tätigkeitsbereich, der das Durchführen von körperlichen Untersuchungen und Anamnesegesprächen, der Operationsassistenz, Blutentnahmen, Abstrichen und das Schreiben von ärztlichen Briefen umfasst, unterscheidet sich nicht vom Tätigkeitsprofil approbierter Ärzt*innen in der Assistenzzeit. Auch wenn also kein Arbeitsverhältnis im engeren Sinne besteht, sieht die Realität ganz anders aus. Die miserablen Zustände in der deutschen Gesundheitsversorgung werden hierbei auf dem Rücken der Studierenden ausgetragen, denn auch pflegerische Aufgaben werden entgegen des eigentlichen Zuständigkeitsbereichs auf die unvergüteten, jungen Menschen ausgelagert.

 

Beschluss: Erledigt durch Arb/1
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