2022/II/Recht/4 Reform der Mandatsträgerbestechung – aus den Fällen Löbel, Nüßlein und Amthor lernen.

Der SPD-Landesparteitag möge zur Weiterleitung an den SPD-Bundesparteitag beschließen:
Forderung:
Die SPD-Bundestagsfraktion wird aufgefordert, sich für Folgendes einzusetzen:
1. Der § 108e StGB ist tatbestandlich dahingehend auszuweiten, dass die Anforderung an die Unrechtsvereinbarung für die Bestechung von Abgeordneten an die Amtsträgerkorruption angeglichen werden.
2. Der § 108e StGB ist tatbestandlich auf nachträgliche Vorteile auszuweiten.
3. Der § 108e StGB ist tatbestandlich auf Aktivitäten auszuweiten, die über die rein parlamentarische Tätigkeit hinausgehen, mit dem Mandat jedoch unmittelbar verknüpft sind.

Begründung:

Die sog. „Maskendeals“, bei denen sich Abgeordnete Provisionen für die Beschaffung von Schutzmasken kassiert haben, sorgten im letzten Jahr für große Empörung. Als Reaktion hat die große Koalition noch in der letzten Legislaturperiode die Abgeordnetenbestechung das Strafmaß erhöht und den § 108e StGB zum Verbrechen hochgestuft. Leider greift dies jedoch zu kurz, da der Tatbestand der Mandatsträgerbestechung gem. §108e StGB zu eng gefasst ist.

Die in die Maskenaffäre verstrickten Abgeordneten müssen für ihr Verhalten aller Wahrscheinlichkeit nach keine strafrechtlichen Konsequenzen fürchten – und müssten dies trotz Strafmaßschärfung auch in Zukunft nicht.

Der/die Abgeordnete muss die Anknüpfungshandlung „im Auftrag oder auf Weisung“ begangen haben. So soll sich der Anwendungsbereich der Korruptionsnorm auf Fälle besonders eklatanten Missverhaltens beschränken und so die freie Mandatsausübung der ParlamentarierInnen schützen. In der parlamentarischen Praxis ist letztere stets von einem schmalen Grat zwischen erwünschtem Austausch mit Interessengruppen und verbotener Beeinflussung geprägt.

Die restriktive Ausgestaltung der Norm führt jedoch im Ergebnis dazu, dass ein einfacher Tausch („Stimme für Vorteil“) nicht ausreicht. Für die Verwirklichung des § 108e StGB ist es vielmehr notwendig, dass sich die/der Abgeordnete „den Interessen des Vorteilsgebers unterwirft“[1] , die konkrete Mandatsausübung, z.B. die Stimmabgabe, also nicht (auch) auf innere Einstellungen zurückzuführen ist. Da schon die Belohnung für die konkrete Ausübung des Mandats – unabhängig von der subjektiven Einstellung der/des Abgeordneten – das Vertrauen in die Integrität der parlamentarischen Arbeit erheblich stört, wäre eine weniger restriktive Ausgestaltung allerdings sinnvoll. Beachtenswert ist an dieser Stelle, dass der Gesetzgeber im Rahmen des § 108e StGB weit hinter den Anforderungen an die Unrechtsvereinbarung anderer Korruptionsnormen – etwa der Bestechung von beispielsweise RichterInnen gem. §§ 332, 334 StGB – zurückbleibt.

In der Praxis führt diese Konzeption auch zu erheblichen Beweisschwierigkeiten, sodass teilweise von „symbolischen Strafrecht“[2] gesprochen wird. Dass Zuwendung und Handlung in einem direkten Austauschverhältnis stehen und sich die/der Abgeordnete im Rahmen eines Weisungsverhältnisses dem Willen des/der Vorteilsgeber:in unterordnet, lässt sich nämlich kaum nachweisen. Sofern ein(e) Abgeordnete(r) die Vereinbarung zur Korruptionshandlung nicht gerade schriftlich festhält, kommt es kaum zu einer strafrechtlichen Verfolgung. Um dies zu ändern, bedarf es einer Anpassung der Norm an die Amtsträgerkorruption.

Auch an anderer Stelle ist der § 108e StGB lückenhaft ausgestaltet. Im Gegensatz zur Beeinflussung künftigen Verhaltens, bleibt die nachträgliche Belohnung für die Mandatsausübung (die sog. „Dankeschön-Spende“) nämlich stets straffrei. Das Argument, nur eine zukünftige Beeinflussung könne die Integrität des parlamentarischen Verfahrens beeinträchtigen, greift zu kurz – und wird auch in anderen Korruptionstatbeständen nicht bemüht. Auch zeitlich nachgelagerte Belohnungen können Abgeordnete im Hinblick auf zukünftige Entscheidungen erheblich beeinflussen und berühren damit letztlich in ähnlicher Weise die Integrität des Parlaments. Eine andere Begründung ist auf den ersten Blick nachvollziehbarer. Abgeordnete sollen nicht bei jeder Spende, die beispielsweise thematisch in die Nähe ihres Abstimmungsverhalten gerückt werden könnte, ein Ermittlungsverfahren fürchten müssten. Dies überzeugt im Ergebnis jedoch nicht. Schließlich wird sich ein Anfangsverdacht nicht allein auf die Existenz einer Zuwendung stützen lassen, welche vom PartG gerade gebilligt werden. Um ausufernden Ermittlungstätigkeiten vorzubeugen, fallen Ermittlungsverfahren im Rahmen des § 108e StGB dazu bewusst in den Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Generalstaatsanwaltschaft.

Ein weiteres Problem stellt sich hinsichtlich der Grenze, wann Abgeordnete als Privatpersonen (etwa als bezahlte(r) Berater:in/Vermittler:in) handeln und wann verbotenerweise als Mandatsträger:in. In der Praxis ist nämlich kaum sinnvoll abzugrenzen, wann Abgeordnete „bei der Wahrnehmung ihres Mandats“ handeln bzw. wann lediglich die Autorität des Mandats nutzen. Dass letztere Handlungen teilweise genauso strafwürdig sind, von der jetzigen Konzeption des Tatbestandes aber nicht umfasst sind, zeigen die Ermittlungseinstellungen bzw. Freisprüche in den Fällen Nüßlein, Amthor und Co.[3]

Die Bedeutung der freien Mandatsausübung muss im Rahmen des § 108e StGB zweifelsohne einbezogen werden; jedoch zeigen insbesondere die Beispiele aus jüngerer Vergangenheit, dass es dringend einer Neukonzeption des Tatbestandes bedarf. Der enge Anwendungsbereich und die erheblichen Beweisschwierigkeiten führen in der Praxis quasi zur Bedeutungslosigkeit der Norm – seit Neufassung im Jahr 2014 beläuft sich die Anzahl der Verurteilungen auf zwei.[4]

[1] BT-Drs. 18/476, S. 7.

[2] 2 So etwa Müller in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 108e StGB, Rn. 5

[3] Das OLG München (Beschl. v. 17.11.2021 – 8 St 3/21) führt dazu aus:

„Der Senat hat es aufgrund der Gewaltenteilung hinzunehmen, dass die Vorstellung des Deutschen Bundestags über die Strafwürdigkeit gewisser Verhaltensweisen seiner Mitglieder (…) von der Auffassung der internationalen Normgeber substanziell abweicht, auch wenn die diesbezüglichen Erwägungen des deutschen Gesetzgebers, dass es keinen Anlass gebe, die missbräuchliche Einflussnahme unter Strafe zu stellen (…) und dass ein Bedürfnis für eine derart weitgehende Bestrafung dritter Personen bislang nicht aufgetreten sei (…), vor dem Hintergrund des vorliegenden Falls zweifelhaft erscheinen dürften.“

[4] Korruption Bundeslagebild 2020 (BKA); Zwei größere Ermittlungen in Niedersachsen und Brandenburg 2016/17 dabei ausgenommen.

Beschluss: Annahme in geänderter Fassung
Text des Beschlusses:

Der SPD-Landesparteitag möge zur Weiterleitung an den SPD-Bundesparteitag beschließen:
Forderung: Die SPD-Bundestagsfraktion wird aufgefordert, sich für Folgendes einzusetzen: Der
§ 108e StGB ist tatbestandlich dahingehend zu ändern, dass das Erfordernis „im Auftrag oder
auf Weisung“ zu handeln gestrichen wird, umso die Anforderung an die Unrechtsvereinbarung
für die Bestechung von Abgeordneten an die Amtsträgerkorruption anzugleichen. Der § 108e
StGB ist tatbestandlich zu erweitern auf Vorteile, die erst nach der vorgenommenen bzw.
unterlassenen Handlung gewährt werden. Der § 108e StGB ist tatbestandlich dahingehend zu
ändern, dass das Tatbestandsmerkmal „bei der Wahrnehmung des Mandats“ gestrichen wird
und durch „unter Ausnutzung der Stellung als Mandatsträger“ ersetzt wird.”