2023/I/Verk/3 Leistungsfähige Tangentialverbindungen als Ergänzung zum Schnellbahnnetz

Status:
Annahme

Die SPD-Landesparteitag möge beschließen und an die SPD-Bürgerschaftsfraktion weiterleiten:

Zur Umsetzung der geplanten Mobilitätswende und zur Erreichung des gesteckten Ziels eines Anteils des Umweltverbundes am Gesamtverkehrsaufkommens von 80 % im Jahr 2030 fordern wir den Ausbau des schienengebundenen ÖPNVs. Dafür ist die kontinuierliche Verkehrsplanung für Hamburg durch den Bau einer Niederflur-Straßenbahn zu ergänzen.

Konkret fordern wir:

  1. Die Aufnahme einer modernen Niederflur-Straßenbahn als Ergänzung zum Schnellbahn-Ausbau in die verkehrspolitischen Ziele der SPD-Bürgerschaftsfraktion, um gemäß der Festlegung im aktuellen Koalitionsvertrag auch dort ausreichende Kapazitäten im ÖPNV anzubieten, wo die Kapazität der Metro- und Expressbuslinien nicht mehr ausreicht.
  2. Die Aufnahme von Potentialstrecken für Straßenbahnlinien in die Weiterentwicklung der kontinuierlichen Verkehrsentwicklungsplanung.
  3. Die frühzeitige Umsetzung von vorbereitenden Maßnahmen entlang möglicher Straßenbahnlinien, wie zum Beispiel die Freihaltung von Trassen oder die Verlegungen von unterirdischen Leitungen bei Straßenerneuerungen oder die Dimensionierung von Unterwerken für eine gemeinsame Nutzung mit der Lade-Infrastruktur für E-Busse.
  4. Die Hamburger Hochbahn AG mit der Untersuchung von Möglichkeiten zur Ergänzung des geplanten Schnellbahnausbaus mit einem Niederflur-Straßenbahn-Netz zu beauftragen.
  5. Die Hamburger Hochbahn AG mit der Erstellung einer Machbarkeitsuntersuchung über den Bau einer Straßenbahnstrecke auf dem Abschnitt zwischen Altona und der City Nord mit einer Weiterführung über Farmsen bis nach Rahlstedt als Ergänzung zum Bau der U5 zu beauftragen.
  6. Die Hamburger Hochbahn AG mit der Erstellung einer Machbarkeitsuntersuchung über den Bau einer Straßenbahnstrecke auf der Strecke von Berliner Tor über die Veddel, das Reiherstiegviertel bis Kirchdorf Süd zur besseren Anbindung dieser Gebiete und zur Entlastung der S-Bahn-Strecke über die Elbbrücken zu beauftragen.
  7. Die Erstellung einer Machbarkeitsuntersuchung zur Reaktivierung der Bahnstrecke zwischen Bergedorf und Geesthacht als Niederflur-Regional-Stadtbahn mit einer Führung über den Bahnhof Bergedorf und Lohbrügge bis nach Mümmelmannsberg zu beauftragen.
Begründung:

Für das im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen für Hamburg festgelegte Ziel, den Anteil des Umweltverbunds aus Fußverkehr, Radverkehr und der öffentlichen Verkehrsmittel (ÖPNV) bis zum Jahr 2030 auf 80 % zu erhöhen und damit die geplante Mobilitätswende zu erreichen, wird der ÖPNV einen wesentlichen Beitrag leisten müssen.

Dennoch bleiben auch nach Fertigstellung umfassender Pläne zum Schnellbahnausbau Lücken im ÖPNV-Schienennetz bestehen. Neben dem Ausbau der vorhandenen Verkehrsmittel muss auch die seit Jahrzehnten offensichtliche Lücke zwischen Bus und Schnellbahn geschlossen werden, um so ein flächendeckendes, attraktives und wirtschaftliches Angebot bieten zu können.

Noch bis ins Jahr 2010 wurde dazu der Bau einer Straßenbahn in Hamburg auch von der SPD unterstützt. Unter dem Eindruck des Zerfalls der Regierungskoalition Anfang 2011 und der Nachwirkungen der Finanzkrise von 2008 / 2009 ist die SPD allerdings von diesem Standpunkt abgewichen. Dieser Kurswechsel hat sich schon nach wenigen Jahren als Fehler erwiesen und bedroht mittlerweile die Erreichung der Ziele, welche sich SPD und Grüne in Hamburg zur Mobilitätswende gesteckt haben.

Der wirksamste Hebel zur Verlagerung von Fahrten vom Individualverkehr zum ÖPNV ist der Ausbau der schienengebundenen Verkehrsmittel. Zum Ausbau des Schnellbahnnetzes sind diverse Vorhaben in Planung oder werden zurzeit realisiert. Dennoch führen die langen Zeiträume beim Schnellbahnausbau dazu, dass nach aktueller Planung Ende 2030 lediglich sechs zusätzliche S-Bahn-Stationen und voraussichtlich nur vier neue U-Bahn-Haltestellen in Betrieb sein werden.

Drei Gründe sprechen deutlich für einen beschleunigten und vielfältigeren Ausbau des schienengebundenen ÖPNVs. Zum einen müssen attraktive Alternativen zum motorisierten Individualverkehr geschaffen werden, insbesondere da es Ziel der SPD ist, die Mobilitätswende vorrangig über Alternativen zum eigenen PKW und nicht durch Verbote voranzutreiben.

Auf der anderen Seite bedeutet die geplante Steigerung des ÖPNV-Anteils von 22 % im Jahr 2017 auf 30 % im Jahr 2030 beinahe einen fünfzigprozentigen Anstieg der absoluten Fahrgastzahlen. Für dieses erhöhte Fahrgastaufkommen müssen die notwendigen Kapazitäten geschaffen werden – und zwar auch dort, wo das Fahrgastaufkommen den Bau einer U- oder S-Bahnlinie nicht rechtfertigt.

Bei einem durchschnittlichen Fahrgastaufkommen von ca. 10.000 Fahrgästen pro Tag im Querschnitt erreicht der Bus seine Wirtschaftlichkeits- und Kapazitätsgrenzen. Für den Bau einer unterirdischen Schnellbahn wird allerdings mindestens ein durchschnittliches Fahrgastaufkommen von 50.000 Fahrgäste pro Tag benötigt. Schnellbahn und Straßenbahn stehen somit nicht in Konkurrenz zueinander.

 

Abbildung 1: Aufteilung des ÖPNVs in drei Ebenen abhängig vom Fahrgastaufkommen

Zu guter Letzt wäre die Einführung einer Straßenbahn auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnvoll. Denn überlastete Buslinien sind nicht nur unattraktiv für neue Fahrgäste, sondern auch teurer im Betrieb als eine Straßenbahn. Ab einem Fahrgastaufkommen von durchschnittlich ca. 10.000 Fahrgästen pro Tag sind die Gesamtkosten einer Straßenbahn, bestehend aus den Kosten für Bau, Anschaffung, Betrieb und Instandhaltung, geringer als die Kosten einer Busverbindung. Das bedeutet, dass mit denselben Mitteln mehr und attraktivere ÖPNV-Angebote finanziert werden kann.

Abbildung 2: Kostenverhältnis zwischen Bus und Straßenbahn bei hohem Fahrgastaufkommen

Mit der Ergänzung durch die Straßenbahn kann der Ausbau der schienengebundenen Verkehrsmittel deutlich beschleunigt werden und so ein wichtiger Beitrag für die Mobilitätswende in Hamburg geleistet werden. Da beim Bau einer Straßenbahn viele ohnehin notwendige Maßnahmen, wie zum Beispiel die routinemäßige Straßeninstandhaltung, und Ausbaumaßnahmen des Busliniennetzes eingespart werden können, sind die tatsächlich anfallenden Mehrkosten im Vergleich zum Schnellbahnausbau sehr gering.  Schnell- und Straßenbahn können also parallel ausgebaut werden.

Zudem spricht für den parallelen Ausbau von Schnellbahnen und Straßenbahn die Schaffung von störungsunanfälligen Alternativen, welche die Resilienz der öffentlichen Verkehrsmittel erhöhen. So verhindern wir, dass durch den Ausfall einzelner Verbindungen ganze Stadtteile vom ÖPNV-Netz abgeschnitten werden.

 

Beschluss: Annahme in geänderter Fassung
Text des Beschlusses:

Die SPD-Landesparteitag möge beschließen und an die SPD-Bürgerschaftsfraktion weiterleiten:

Zur Umsetzung der geplanten Mobilitätswende und zur Erreichung des gesteckten Ziels eines Anteils des Umweltverbundes am Gesamtverkehrsaufkommens von 80 % im Jahr 2030 braucht es einen Ausbau des schienengebundenen ÖPNVs. Wir Sozialdemokrat*innen wollen daher nie wieder aufhören, das Schienennetz in unserer Stadt auszubauen. Daher begrüßen wir die aktuell im Bau bzw. in Planung befindlichen Schienenprojekte, allen voran:

  • U4-Verlängerung auf die Horner Geest
  • U4-Verlängerung auf den Grasbrook
  • U5 Bramfeld – Arenen
  • S4 nach Rahlstedt, Ahrensburg, Bad Oldesloe
  • S5 nach Kaltenkirchen
  • S6 Harburg – Osdorfer Born (– Schenefeld)

 

Als zukünftige Projekte stehen die Verlängerung der U2 nach Lohbrügge und ggf. Oberbillwerder, der U4 nach Wilhelmsburg und Harburg sowie Jenfeld, eine Aktivierung der nördlichen Güterumgehungsbahn für den Personenverkehr, der zweigleisige Ausbau der Strecke Blankenese – Wedel, die Reaktivierung der Bahnstrecke Bergedorf – Geesthacht, der Verbindungsbahnentlastungstunnel einschließlich Erweiterung des Hauptbahnhofs im Raum.

Darüber hinaus werden wir prüfen, wo die Kapazitäten der Metro- und Expressbuslinien absehbar nicht mehr ausreichen werden und mit welchem Verkehrsmittel hier eine erweiterte Kapazität angeboten und größere Passagiermengen komfortabel befördert werden können. Die so identifizierten Potenzialstrecken und alternativen Verkehrsangebote werden wir frühzeitig in der kontinuierlichen Verkehrsentwicklungsplanung berücksichtigen. Damit wollen wir insbesondere die Tangentialverbindungen stärker in den Blick nehmen.

Beschluss-PDF:
Überweisungs-PDF: