2022/I/Wis/1 Lehrstellen statt Leerstellen – Uni ausfinanzieren, Stellen sichern, Studienqualität erhalten

Status:
Nicht Abgestimmt

Der Landesparteitag der SPD-Hamburg möge beschließen:
Die SPD-Bürgerschaftsfraktion und die SPD-Senator:innen stellen sicher, dass die Hamburgische Hochschullandschaft ausreichend finanziert wird, um die im Koalitionsvertrag vereinbarten wissenschaftspolitischen Ziele zu erreichen. Die Hochschulen dürfen insbesondere nicht Opfer der Sparpolitik im Zuge der Corona-Pandemie werden.

• Das Kostendefizit der Hochschulen muss sofort gedeckt werden. Die finanziellen Mittel der Wissenschaftsbehörde müssen jährlich an die Inflationsrate und die Tarifsteigerungen angepasst werden. In den vergangenen Jahren wurde das Budget jährlich um 0,88% gesteigert, ein Wert, der weit unter der jährlichen Inflationsrate von etwa 1,21% und der Tarifsteigerung von 3,2% liegt. Diese sogenannte Kostenschere zwischen den realen Ausgaben der Hochschulen für die zwischen der BfWG und den Hochschulen vertraglich vereinbarten Leistungen auf der einen Seite und den von der BfWG zugewiesenen Mittel auf der anderen Seite wächst seit Jahren erheblich und summiert sich im Haushaltsjahr 2020 alleine auf etwa 22 Millionen Euro. Die Hochschulen stehen bereits heute vor kaum lösbaren finanziellen Herausforderungen und können abseits der Exzellenzcluster schwerlich qualitativ gute Lehre, Forschung und Bildung.
• Die SPD Hamburg wirkt auf die BfGW und die zuständige Senatorin ein, die breit geäußerten Bedenken der Hochschulrektorenkonferenz Hamburgs, der Bildungsgewerkschaften und der studentischen Vertreter:innen bezüglich der prekären Finanzsituation der Hochschulen ernst zu nehmen. Vielmehr braucht es einen gleichberechtigen Dialog zwischen der Wissenschaftsbehörde und allen betroffenen Statusgruppen der Hochschulen darüber, wie
die Hochschulen den Anforderungen an gute Lehre, Forschung, Bildung – aber auch den Herausforderungen der Digitalisierung – genügen kann.
In einem Nachtragshaushalt werden die Minderzuweisungen aufgrund der Corona-Pandemie ausgeglichen. Der Corona-Notfallhaushalt darf zu keiner nachhaltigen Schädigung der Hochschullandschaft führen.

Begründung:

Die im Wissenschaftshaushalt 2021 eingestellten Mittel untergraben die im Koalitionsvertrag festgelegten Ziele und Leistungsvorgaben an die Hamburgischen Hochschulen. Gute Wissenschaft gibt es nur unter guten Arbeits- und Studienbedingungen. Bildung, Lehre und Forschung sind zentrale Zukunftsbereiche, die mit diesem Haushalt keine tragfähige Grundlage besitzen.

Die BfWG beruft sich mitunter öffentlich darauf, dass in den Haushalten entsprechende Budgetsteigerungen von bis zu 2% vorgesehen sein. Deutlich ist dabei jedoch, dass die entsprechenden Steigerungen de facto unzureichend sind, die öffentlichen Äußerungen der Wissenschaftssenatorin (z.B. im Hamburger Abendblatt 03.11.2020) stellen somit einen eindeutigen Etikettenschwindel dar. So standen in den vorangegangenen Jahren Budgetzuwächse von jährlich 0,88% (gemäß der Hochschulvereinbarung von 2013) den erfolgreichen und deutlich höheren Tarifabschlüssen im Öffentlichen Dienst gegenüber, die damit zu einer ungedeckten Kostensteigerung der Hamburger Hochschulen geführt hat. Allein in den letzten beiden Jahren waren die Tarifabschlüsse mit jeweils 3,2% deutlich höher. Die hieraus resultierende sog. „Kostenschere“ beträgt für die Universität Hamburg zum derzeitigen Stand jährlich ca. 22 Mio. Die Universität Hamburg ging an ihre finanzielle Grenzen, indem sie die Kostenschere jahrelang aus eigenen Betriebsmitteln und Rücklagen kompensierte. Das geschah im Vertrauen in die Aussagen der BfWG, dass ab 2021mit erheblichen Mittelerhöhungen zu rechnen sei. Insgesamt laufen die von der BfWG und der Wissenschaftssenatorin als „Steigerungen“ titulierten Budgetvorstellungen auf weitere und empfindliche Kürzungen für den Wissenschaftsstandort Hamburg hinaus. Die Hochschulrektorenkonferenz Hamburg und die Bildungs-Gewerkschaften haben diesen Sachverhalt bereits wiederholt und öffentlich kritisiert.

Gute Forschung und Lehre benötigen langfristige Planungssicherheit und eine adäquate Ausstattung. Besonders verheerend zeigt sich u.E., dass die langfristige Planung der Universität Hamburg mit diesem Notfall-Haushalt verunmöglicht wird. Das bisherige Planungsverfahren berief sich auf deutliche Budgetsteigerungen in den kommenden Jahren, die nun im Zuge der Corona-Pandemie unilateral von der Behörde aufgekündigt wurden. Damit sind nun langfristige Zielvorgaben und die Personalentwicklung insgesamt bedroht. Erfolgreiche und zukunftsträchtige Projekte wie das Universitätskolleg und ahoi.digital werden wahrscheinlich nicht fortgeführt werden können. Die bisherigen Zusagen der Behörde und der Freien und Hansestadt Hamburg wurden so kurzfristig ohne angemessene Perspektive abgesagt, langfristige Strukturentwicklungen sind nicht mehrmöglich, nachhaltige Schäden durch absehbare Strukturdefizite für die Universität und den Wissenschaftsstandort Hamburg insgesamt werden anscheinend billigend in Kauf genommen. Am dramatischsten erscheint dabei, dass die Beibehaltung des Status quo keineswegs unfinanzierbar ist. In Zeiten in denen Privatwirtschaftliche Unternehmen und Einzelpersonen in umfangreichem Maße von der staatlichen Absicherung in einer außergewöhnlichen Krise profitieren, wird in Hamburg dagegen zuallererst im Bildungs- und Wissenschaftsbereich eingespart. Derartige Zustände sind inakzeptabel und den Beschäftigten der Universität nicht vermittelbar. Die Haushaltsvorstellungen der BfWG stoßen hier auf ein ungewöhnlich breites und geschlossenes Unverständnis und deutliche Ablehnung über alle Statusgruppen, also Professor*innen, Akademisches Personal, TVP und Studierende hinweg. Wir fordern die SPD Hamburg daher dazu auf, die strukturelle Unterfinanzierung der Universität zu beenden, sich für eine nachhaltige und solidarische Wissenschaftspolitik einzusetzen und Beschäftigten und Studierenden auch über die Pandemie hinaus langfristige und solide finanzielle und ideelle Unterstützung zu bieten.

Studienbedingungen:

Die Studienbedingungen sind durch die aktuellen Haushaltsvorstellungen der BfWG deutlich gefährdet. Einerseits wird die durch die Kürzungen erforderliche Personalumbau von

Qualifikations- und Professor*innen- zu reinen Lehrstellen (sog. WimiLe) die an einigen Fakultäten ohnehin bereits kritische Entkopplung von Forschung und Lehre weiter verschärfen. Perspektivisch sehen sich durch den kürzungsbedingten Stellenabbau – der von der BfWG scheinbar billigend in Kauf genommen wird Um die seitens der BfWG gestellten Forderungen nach erhöhten Studienplatzzahlen zu erfüllen, muss die Universität den Schwerpunkt auf kostengünstigere sog. Buchwissenschaften legen, zu Kosten der MIN-Fächer. Die Reform der Lehrer:innenbildung steht zum derzeitigen Stand auf der Kippe. Die Universität Hamburg ist die einzige Volluniversität der Stadt, eine Vielzahl essentieller und interdisziplinärer Studiengänge können nur hier studiert werden. Kürzungen in kostenintensiven oder kleinen Studiengängen wird dem Wissenschaftsstandort Hamburg langfristig Schaden zufügen.

Mit der bereits jetzt angekündigten Erhöhung der maximalen Teilnehmer:innenzahlen für Seminare verschlechtert sich das an einigen Fakultäten bereits desolate Verhältnis von Lehrenden zu Studierenden weiter. Eine gute Betreuungssituation wird dadurch erschwert, individuelle, tagesaktuelle und kritische Lehre als zentrale Elemente einer der Aufklärung verpflichteten Universität kaum noch möglich.

Als zentrales Problem erweist sich, dass auf der einen Seite die Leistungsvereinbarungen auf eine deutliche Steigerung der Studierendenzahlen abzielen, die hierfür erforderlichen zusätzlichen Lehrmittel im Haushalt aber nicht vorgesehen sind. Die Universität soll damit mehr Studienplätze schaffen, die zugleich aber mit insgesamt reduzierten Mitteln betreut werden sollen.

Die bereits jetzt ausgeschöpften Lehrkapazitäten werden so insgesamt weiter reduziert, mit entsprechenden Konsequenzen für die Studierenden, aber auch die Mitarbeiter*innen (s.u.). Begleitet wird Qualitätsminderung in der Lehre von hochschulpolitischen Fehlentscheidungen in Pandemiezeiten wie der Einführung von Gebühren für Eignungstests und unzureichenden Darlehen, die das Existenzminimum nicht decken können. Mit den bereits jetzt enorm hohen Lebensunterhaltungskosten wird Hamburg ein zunehmend unattraktiver Studienstandort.

Arbeitsbedingungen

Da sich an der Universität Hamburg mitunter die einzige Möglichkeit zu Einsparungen auf Ebene des Personals ergibt, werden die Haushaltsvorstellungen der BfWG hier zu erheblichen Einschnitten führen. Der Kanzler der Universität geht bereits jetzt davon aus, dass von2022- 23 eine personelle Einsparung von 5-7% der Stellen erforderlich sein wird. Eine Vakanzhaltung von 3% der Stellen ist bereits ab dem Jahr2022 erforderlich. Vor dem Hintergrund der bereits jahrzehntelang verfolgten, verfehlten Sparpolitik erscheint dies besonders dramatisch.

Besonders problematisch erscheinen uns diese Konsequenzen zuallererst für Beschäftigte des akademischen Nachwuchses. Während Professor:innen nicht zuletzt aufgrund ihres Beamtenstatus einen weitgehend vor personellen Einschnitten geschützt sind, werden die Konsequenzen mit großer Wahrscheinlichkeit überproportional die befristet beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen betreffen. Diese ohnehin bereits prekär (i.d.R. auf 3 Jahre) beschäftigte Statusgruppe wird damit in doppelter Weise betroffen. Vor dem Hintergrund der außerordentlich schlechten Bezahlung und der unsicheren Berufsperspektive sehen sich diese außergewöhnlich motivierten und engagierten Personen in doppelter Weise von der Coronapandemie eingeschränkt: Nicht nur fehlten im letzten Jahr und erwartbar auch im folgenden Jahr zahlreiche Forschungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten, nun fällt auch mit den Haushaltsplänen die berufliche Sicherheit für diese Statusgruppe. Zudem werden perspektivisch die forschungsstarken sog. Qualifikationsstellen (s. §28 HmbHG) mitgeringem Lehrdeputat zunehmend in reine Lehrstellen (sog. Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen in der Lehre) ohne eigenen Forschungsanteil umgewandelt werden. Die Freie und Hansestadt Hamburg zöge sich damit weiter aus der Finanzierung und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zurück. Damit droht an der Universität Hamburg eine dramatische Entkopplung von Lehre und Forschung (siehe auch oben), indem rein drittmittelfinanzierten Stellen ohne eigene Lehrverpflichtung, reine Lehrstellen ohne eigene Forschung gegenüberstehen würden.

Nicht nur wird eine solche Politik dem eigentlichen Motto der Universität („Der Lehre, der Forschung, der Bildung“) nicht gerecht, die Akquise von motiviertem und hochqualifiziertem wissenschaftlichem Nachwuchs wird so weiter erschwert. Die hier bereits seit Jahrzehnten von Gewerkschaftsseite geforderten Nachbesserungen und Reformen (z.B. von Seiten der GEW im sog. Templiner Manifest) werden so nicht nur weiter ignoriert, sondern aktiv unterwandert. Die Sozialdemokratie droht hier ihre Glaubwürdigkeit in der Wissenschaftspolitik endgültig zu verlieren.

Professor:innen drohen mit dem aktuellen Haushalt ihre wenigen noch vorhandenen etatfinanzierten Mitarbeiterstellen zu verlieren, mit erwartbaren Mehrbelastungen auch für diese Statusgruppe. Vakanzhaltungen bei dieser Statusgruppe sind bereits zum jetzigen Zeitpunkt aus ökonomischen Gründen erforderlich gewesen (sog. Berufungsstopp), mit mitunter drastischen Konsequenzen für Studierende und Kolleg:innen, die die resultierende Mehrarbeit unentgeltlich auffangen mussten.

Forschung

Wie oben geschildert laufen, die im aktuellen Haushalt vorgesehenen Kürzungen auf einen empfindlichen Stellenabbau an der Universität Hamburg hinaus. Auch in Berufungsverfahren gestalten sich die Ausstattungsverhandlungen aus äußerst schwierig; der Wissenschaftsstandort Hamburg ist damit perspektivisch weder bundesweit noch international konkurrenzfähig. Hochqualifizierte Wissenschaftler:innen und wissenschaftlicher Nachwuchs können so kaum für die Freie und Hansestadt Hamburg gewonnen werden. Die erwartbaren Qualitätsverluste in der Lehre werden weiterhin erschweren engagierte und motivierte Studierende für eine akademische oder wissenschaftliche Laufbahn zu motivieren. Hochkarätige Spitzenforschung wird damit in Hamburg kaum mehr möglich sein. Besonders dramatisch daran ist weiterhin, dass diese Entwicklungen zu erwartbaren Verlusten im Hinblick auch auf Drittmittelakquise und die öffentliche Forschungsförderungen führen wird. So äußerte bereits jetzt der Kanzler der Universität, dass der Exzellenzstatus der Universität unter diesen Bedingungen nicht verteidigt werden kann. Damit verbunden ist nicht nur ein empfindlicher Renomméverlust der Universität und auch der Freien und Hansestadt Hamburg insgesamt, sondern auch eine entsprechende Reduktion der drittmittelfinanzierten Forschungsstellen. Der Wissenschaftsstandort Hamburg droht sich damit in eine Abwärtsspirale zu begeben, die nicht im Sinne einer nachhaltigen Wissenschaftspolitik sein kann.

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