2022/II/Wi/Steu/5 Klassismus überwinden: Schufa und Co. die Handschellen anlegen!

Der SPD-Landesparteitag möge zur Weiterleitung an den SPD-Bundesparteitag beschließen:

Die SPD in der Bundesregierung und im Bundestag wird aufgefordert, sich für eine verschärfte Regulierung der Schufa und anderer Bonitätsauskunfteien einzusetzen.

Im Einzelnen fordern wir, dass

  1. die demokratisch legitimierte Kontrolle über Auskunfteien durch den Erwerb von Anteilen durch den Staat oder öffentliche Unternehmen ausgebaut wird. Dazu ist beispielsweise die Schaffung eines Unternehmens im Besitz des Staates denkbar.
  2. die personalisierten Datensätze in den Beständen der Auskunfteien dabei weiterhin vor dem Zugriff und Einfluss staatlicher Stellen (Regierung, Sicherheitsbehörden, Ämter, o.ä.) geschützt sind.
  3. das Quasi-Monopol der Schufa durch kartellrechtliche Maßnahmen gebrochen wird. Sollten hierzu bisher keine Möglichkeiten bestehen, sind entsprechend geeignete Gesetzesreformen zu entwickeln.
  4. die Übernahme von Bonitätsauskunfteien durch ausländische Investoren, eine Verlagerung des Geschäftssitzes und der Abfluss von Daten ins Ausland verhindert werden, z.B. indem eine Art staatliches Vorkaufsrecht geschaffen wird.
  5. eine unabhängige Behörde zur Überprüfung der verwendeten Scoring-Algorithmen geschaffen wird. Auskunfteien müssen verpflichtet werden, dieser gegenüber ihre Datengrundlage und die Berechnungsverfahren offenzulegen. Bei den Algorithmen darf ausschließlich das vergangene Verhalten verwendet werden. Daten zu Staatsangehörigkeit, Wohnort, Geschlecht, Sexualität, Beruf und Ethnie dürfen nicht in die Berechnung einfließen.
  6. eine Beschwerdestelle geschaffen wird, die an diese Prüfstelle angeschlossen ist und die bei Beschwerden von Verbraucher:innen ermittelt.
  7. auch für die Berechnung der Kreditwürdigkeit ein Recht auf Vergessenwerden eingeführt wird, indem die Daten, die in die Berechnung einfließen, maximal 3 Jahre alt sein dürfen.
  8. jährlich bis zwölf kostenlose “einfache” Bonitätsauskünfte und vier kostenlose “Branchen-Auskünfte” durch das gesetzliche Auskunftsrecht gedeckt werden. Dabei muss die Beantragung vereinfacht werden, das Ergebnis leicht verständlich sein und die Kriterien der Berechnung transparent dargestellt. Auch muss gewährleistet werden, dass die Wahrnehmung des Auskunftsrechtes keine negativen Auswirkungen auf die Bewertung hat.
  9. ein Opt-In-Verfahren zur Datenabfrage und Datenweitergabe durch Dritte an Auskunfteien bei jedem Vertragsabschluss (auch Verlängerungen) eingeführt wird. Sollte die Einwilligung zwingend notwendig sein, muss deutlich und in einfacher Sprache auf die Datenübermittlung und ihren Umfang hingewiesen werden.
Begründung:

Eine positive Bonitätsauskunft bei der Schufa ist ein Türöffner, bei einer negativen Bewertung werden Türen schneller zugeschlagen, als dass man „Auskunftei“ sagen kann. Eine Schufa-Auskunft hat sehr viel Macht über unser aller Leben: Sie entscheidet darüber, ob wir eine Wohnung finden, ob wir ein Bankkonto eröffnen können, ob wir einen Handyvertrag bekommen oder ob wir einen Kredit bewilligt bekommen und wenn ja, wie hoch dieser und die Zinsen sind.

Jedoch ist für den normalen Menschen kaum nachvollziehbar, wie die Schufa oder andere Auskunfteien ihre Berechnungen anstellen, noch welche Daten dafür verwendet werden.

Die Daten, mit denen die Schufa arbeitet, bezieht sie von Banken, Energieversorger:innen, Versandhändler:innen und vielen mehr. Legal ist das dadurch, dass wir bei Vertragsunterzeichnung oft einen kleinen Passus unterschreiben, der die Weitergabe unserer Daten an die Schufa gestattet. Allerdings ist es so, dass wir zur Weitergabe unserer Daten an die Schufa faktisch gezwungen sind: Nahezu alle Unternehmen aus gewissen Branchen leiten unsere Daten weiter. Wir können oft kein Unternehmen auswählen, das die Daten nicht weitergibt – und das auch bei lebensnotwenigen Gütern wie Strom oder Gas. Es bleibt uns also in den meisten Fällen keine Wahl.

Außerdem fließen Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen wie Schuldner:innenverzeichnissen oder Insolvenzbekanntmachungen, sowie personenbezogene Daten wie Name, Geburtsdatum und sämtliche jemals bewohnte Adressen in die Datenmenge ein. Also kann auch schon der Wohnsitz in einer „schlechten Gegend“ für einen schlechteren Schufa-Score sorgen. Auch ist die Schufa direkt oder indirekt selbst an diversen Inkassounternehmen beteiligt.

Damit hat die Schufa mehr Daten über unsere finanziellen Angelegenheiten und Aktivitäten als das Finanzamt, das – im Unterschied zum Privatunternehmen Schufa – der öffentlichen Kontrolle unterliegt.

Wie die Daten genau zum anschließenden „Schufa-Score“ verrechnet werden, ist maximal undurchsichtig, es gilt als Betriebsgeheimnis, zuletzt 2014 durch den Bundesgerichtshof bestätigt. Außerdem gibt es nicht nur einen Schufa-Score, sondern viele unterschiedliche, branchenspezifische Schufa-Scores, die mitunter stark voneinander abweichen können und von Unternehmen bei der Schufa gekauft werden können.

Verbraucher:innen erhalten gegen eine Zahlung von knapp 30 Euro nur den sog. „Basis-Score“ von der Schufa, der also nicht branchenspezifisch aufschlüsselt, wie kreditwürdig man beispielsweise für einen Immobilienkredit oder einen Handyvertrag ist.

Verbraucher:innen haben zwar laut Art. 15 DSGVO regelmäßig das Recht, kostenlos zu erfahren, welche Daten die Schufa und andere Auskunfteien speichern und verarbeiten. Allerdings versteckt die Schufa diese Auskunftsmöglichkeit mit sehr viel Aufwand. Verbraucher:innen müssen sich durch unzählige Werbeanzeigen für die Bezahlangebote und andere Informationen klicken, um zur kostenlosen Auskunft zu gelangen. Auch die Hürde bei der Zugänglichkeit muss sich ändern.

Verbraucherschützer:innen kritisieren außerdem völlig zurecht, dass Personen nach wie vor keine Möglichkeit haben, zu prüfen, ob im Urteil der Schufa beispielsweise eine Fehlannahme vorliegt, denn auch zu diesen kommt es in nicht zu unterschätzenden Größenordnungen. Immer wieder berichten Medien über teils haarsträubende Geschichten. Sogar das Bundesverbraucherschutzministerium hat in einer 2009 in Auftrag gegebene Studie festgestellt, dass die Schufa eine „sehr hohe“ Fehlerquote habe. 2010 berichtete „Finanztest“ von folgenden Zahlen: In einer Stichprobe seien 1% der Daten falsch, 8% veraltet und bei 28% (sic!) gäbe es gar keine Daten.

Doch das Scoring hat neben den individuellen Schicksalen auch eine weitere, klassenpolitische Dimension. Wer wenig Geld verdient oder wenig Geld hat, wird im Bewerbungsverfahren für eine Wohnung ohnehin schon schlechtere Karten haben. Ein negatives Schufa-Scoring verschärft diese Probleme noch zusätzlich.

Eine private Aktiengesellschaft sammelt intransparent Berge von Daten über unser Einkaufs- und Zahlungsverhalten. Das ganze Geschäftsmodell basiert auf teuren Auskünften über Daten, die keine Person vorlegen will, aber meistens muss. Gleichzeitig verschärft die Schufa bestehende Ungleichheiten. Jedes Mal 30 Euro für eine Schufa-Auskunft auszugeben, ist nicht nur teuer, sondern auch sinnlos. Denn schließlich weiß jede Person, die sich solch eine Auskunft besorgt, um die eigene finanzielle Situation Bescheid. Die Schufa-Auskunft verschlechtert im Zweifelsfall nur die Chancen auf einen Handyvertrag, eine neue Wohnung oder den Wechsel des Energieanbieters. Die Verarbeitung und der Handel mit derart hochsensiblen Daten muss Aufgabe des Staates, nicht eines Privatunternehmens sein.

Beschluss: Annahme
Text des Beschlusses:

Der SPD-Landesparteitag möge zur Weiterleitung an den SPD-Bundesparteitag beschließen:

Die SPD in der Bundesregierung und im Bundestag wird aufgefordert, sich für eine verschärfte Regulierung der Schufa und anderer Bonitätsauskunfteien einzusetzen.

Im Einzelnen fordern wir, dass

  1. die demokratisch legitimierte Kontrolle über Auskunfteien durch den Erwerb von Anteilen durch den Staat oder öffentliche Unternehmen ausgebaut wird. Dazu ist beispielsweise die Schaffung eines Unternehmens im Besitz des Staates denkbar.
  2. die personalisierten Datensätze in den Beständen der Auskunfteien dabei weiterhin vor dem Zugriff und Einfluss staatlicher Stellen (Regierung, Sicherheitsbehörden, Ämter, o.ä.) geschützt sind.
  3. das Quasi-Monopol der Schufa durch kartellrechtliche Maßnahmen gebrochen wird. Sollten hierzu bisher keine Möglichkeiten bestehen, sind entsprechend geeignete Gesetzesreformen zu entwickeln.
  4. die Übernahme von Bonitätsauskunfteien durch ausländische Investoren, eine Verlagerung des Geschäftssitzes und der Abfluss von Daten ins Ausland verhindert werden, z.B. indem eine Art staatliches Vorkaufsrecht geschaffen wird.
  5. eine unabhängige Behörde zur Überprüfung der verwendeten Scoring-Algorithmen geschaffen wird. Auskunfteien müssen verpflichtet werden, dieser gegenüber ihre Datengrundlage und die Berechnungsverfahren offenzulegen. Bei den Algorithmen darf ausschließlich das vergangene Verhalten verwendet werden. Daten zu Staatsangehörigkeit, Wohnort, Geschlecht, Sexualität, Beruf und Ethnie dürfen nicht in die Berechnung einfließen.
  6. eine Beschwerdestelle geschaffen wird, die an diese Prüfstelle angeschlossen ist und die bei Beschwerden von Verbraucher:innen ermittelt.
  7. auch für die Berechnung der Kreditwürdigkeit ein Recht auf Vergessenwerden eingeführt wird, indem die Daten, die in die Berechnung einfließen, maximal 3 Jahre alt sein dürfen.
  8. jährlich bis zwölf kostenlose “einfache” Bonitätsauskünfte und vier kostenlose “Branchen-Auskünfte” durch das gesetzliche Auskunftsrecht gedeckt werden. Dabei muss die Beantragung vereinfacht werden, das Ergebnis leicht verständlich sein und die Kriterien der Berechnung transparent dargestellt. Auch muss gewährleistet werden, dass die Wahrnehmung des Auskunftsrechtes keine negativen Auswirkungen auf die Bewertung hat.
  9. ein Opt-In-Verfahren zur Datenabfrage und Datenweitergabe durch Dritte an Auskunfteien bei jedem Vertragsabschluss (auch Verlängerungen) eingeführt wird. Sollte die Einwilligung zwingend notwendig sein, muss deutlich und in einfacher Sprache auf die Datenübermittlung und ihren Umfang hingewiesen werden.
Beschluss-PDF:
Überweisungs-PDF: