Der Landesparteitag der SPD Hamburg möge zur Weiterleitung an den Bundesparteitag, die Landesgruppe der SPD im Europaparlament und die SPD-Bundestagsfraktion beschließen:
1. Die SPD-Bundestagsfraktion und die Landesgruppe der SPD im Europaparlament werden aufgefordert, sich für schärfere und international flächendeckend Regelungen im Bereich der unternehmerischen Sorgfalt in Lieferketten einzusetzen. Insbesondere sollen EU-weiten Regelungen entsprechend dem Vorschlag des EU-Parlaments 2020/2129(INL) eingeführt und umgesetzt werden, um insbesondere auch Unternehmen ab 250 Mitarbeiter*innen oder in Risikosektoren zu erfassen, die ganze Lieferkette zum Gegenstand der Risikoanalysepflicht zu machen, umfassend Umweltaspekte, inkl. Klima, aufzunehmen, Rechte indigener Völker gem. des Übereinkommens 169 der ILO und angemessene, existenzsichernde Löhne als Menschenrechte explizit zu schützen, sowie Schadenersatzansprüche Betroffener explizit zu regeln. Darüber hinaus sollen Deutschland und die EU sich in den Verhandlungen zu einem UN Binding Treaty (eingesetzt durch UN Resolution A/HRC/RES/26/9) konstruktiv befürwortend einbringen und dabei die Forderung, Unternehmen direkt durch den Vertrag zu verpflichten, unterstützen;
2. Die SPD-Abgeordneten des Europaparlaments und die SPD-Bundestagsfraktion werden aufgefordert, sich für eine Neukonzipierung der Investitionsschutz- und Handelsabkommen einzusetzen, mit dem Ziel, diese umwelt- und sozialverträglicher auszugestalten. Insbesondere sollen Standards zum Schutz von ILO Kernarbeitsnormen, Menschenrechten, Klima, Biodiversität, Weltmeeren und Weltnaturerbe und das Vorsorgeprinzip in den Abkommen verankert werden, inkl. Sanktionsmöglichkeiten im Falle der Nichteinhaltung; es muss klargestellt werden, dass in Schiedsverfahren zum Investitionsschutz Menschenrechte als Rechtfertigung zur Einschränkung von Investorenrechten dienen können. Für eine Berücksichtigung von Menschenrechten im WTO-Recht sollte eine Anpassung von Art. XX GATT (Allgemeines Zoll- und Handelsübereinkommen der WTO) vorangetrieben werden, um explizit Menschenrechte und ILO-Kernarbeitsnormen als Ausnahmen (Rechtfertigung) für handelsrelevante Maßnahmen zuzulassen.
2021/II/Wi/Steu/10 Für eine Transformation des Welthandels: vom „Frei“-handel zum Fairen Handel
Der Landesparteitag der SPD Hamburg möge zur Weiterleitung an den Bundesparteitag, die Landesgruppe der SPD im Europaparlament und die SPD-
Bundestagsfraktion beschließen,
1. Dass die SPD-Bundestagsfraktion und die Bundesregierung zu schärferen und international flächendeckenden Regelungen im Bereich der unternehmerischen Sorgfalt in Lieferketten aufgefordert werden. Der gute erste Schritt des deutschen Lieferkettengesetzes ist im Rahmen einer EU-weiten Regelung entsprechend dem Vorschlag des EU-Parlaments 2020/2129(INL) auszuweiten, um insbesondere auch Unternehmen ab 250 Mitarbeiter*innen oder in Risikosektoren zu erfassen, die ganze Lieferkette zum Gegenstand der Risikoanalysepflicht zu machen, umfassend Umweltaspekte, inkl. Klima, aufzunehmen, Rechte indigener Völker gem. des Übereinkommens 169 der ILO und angemessene, existenzsichernde Löhne als Menschenrechte explizit zu schützen, sowie Schadenersatzansprüche Betroffener explizit zu regeln. Darüber hinaus sollen sich Fraktion und Regierung, sowie die SPD-Abgeordneten des Europaparlaments dafür einsetzen, dass Deutschland und die EU sich in den Verhandlungen zu einem UN Binding Treaty (eingesetzt durch UN Resolution A/HRC/RES/26/9) konstruktiv befürwortend einbringt und dabei die Forderung, Unternehmen direkt durch den Vertrag zu verpflichten, zu unterstützen;
2. Dass sich die Bundesregierung, die SPD-Abgeordneten des Europaparlaments und die SPD-Bundestagsfraktion zu einem Einsatz für eine Neukonzipierung der Investitionsschutz- und Handelsabkommen aufgefordert wird, mit dem Ziel, diese umwelt- und sozialverträglicher auszugestalten. Insbesondere sollen Standards zum Schutz von ILO Kernarbeitsnormen, Menschenrechten, Klima, Biodiversität, Weltmeeren und Weltnaturerbe und das Vorsorgeprinzip in den Abkommen verankert werden, inkl. Sanktionsmöglichkeiten im Falle der Nichteinhaltung; es muss klargestellt werden, dass in Schiedsverfahren zum Investitionsschutz Menschenrechte als Rechtfertigung zur Einschränkung von Investorenrechten dienen können, etwa nach dem Modell des Art. 18 (2) des Investitionsabkommens von Marokko und Nigeria (2016), bzw. Art. 14 (2) Zusatzgesetz über Investitionen der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten (ECOWAS). Für eine Berücksichtigung von Menschenrechten im WTO-Recht sollte die Bundesregierung eine Anpassung von Art. XX GATT (Allgemeines Zoll- und Handelsübereinkommen der WTO) vorantreiben, um explizit Menschenrechte und ILO-Kernarbeitsnormen als Ausnahmen (Rechtfertigung) für handelsrelevante Maßnahmen zuzulassen.
Begründung:
Druckmittel der Verlagerung von Produktion in Jurisdiktionen mit geringeren Standards
abgeschwächt wird. Mit dem deutschen Lieferkettengesetz hat die SPD in diesem Sinne bereits einen wertvollen Beitrag zu guter Arbeit weltweit und zu einer humaneren Globalisierung geleistet. Allerdings hat die Union es geschafft, einige wichtige Elemente effektiven Menschenrechtsschutzes aus dem Gesetz herauszuverhandeln. Unter anderem werden nur sehr große Unternehmen erfasst, es gibt keine Schadenersatzansprüche für Betroffene und bei der regelmäßigen Risikoanalyse wird nur das erste Glied in der Lieferkette erfasst, während jedoch gerade die tieferen Glieder auf Ebene der Rohstoffe von Menschenrechtsverletzungen besonders betroffen sind. Der von der EU-Kommission angekündigte Gesetzgebungsprozess für ein europäisches Lieferkettengesetz ist die Gelegenheit, um diese Schwächen auszubessern. Hierbei ist der
Vorschlag des EU-Parlaments eine progressive und gute Grundlage, denn er enthält sowohl eine Abdeckung der gesamten Lieferkette bei regelmäßigen Risikoanalysen, Schadensersatzrechte für Betroffene, eine Abdeckung auch von Klimaschäden und erfasst Unternehmen ab 250 Mitarbeiter*innen bzw. in Risikosektoren. Diesen Vorschlag, den das Europäische Parlament mit einer großen fraktionsübergreifenden Mehrheit (504:ja; 79:nein; 112:Enthaltung) angenommen hat, sollte die Grundlage der Verhandlungsposition der Bundesregierung im EU-Gesetzgebungsverfahren bilden. Durch das EU-Lieferkettengesetz
würde ein wichtiger Beitrag zu international fairen Wettbewerbsbedingungen geleistet. Dank der Marktmacht der EU werden sowohl Unternehmen innerhalb als auch außerhalb der EU verstärkten Handlungsdruck erfahren, Prozesse zur Etablierung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten einzuführen. Ein ähnlicher Effekt – vom Economist “Brüssel-Effekt” genannt – zeichnet sich im Bereich der Datenschutzgrundverordnung ab: Große Softwareunternehmen orientieren sich weltweit an diesen Standards. Davon profitieren am Ende nicht nur die Menschenrechte weltweit, sondern auch deutsche und europäische Unternehmen, werden doch mit dieser Verpflichtung der internationalen Konkurrenten Wettbewerbsnachteile vermieden. Allerdings kann das transformative Potential der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten erst durch eine internationale Regelung vollständig realisiert werden. Daher sollte die Bundesregierung den aktuellen, von Ecuador und Südafrika angestoßenen, Verhandlungsprozess zu einem völkerrechtlichen Vertrag zur Verpflichtung von Unternehmen auf Menschenrechtsstandards bei der UN (UN Resolution A/HRC/RES/26/9) konstruktiv unterstützen. Hierbei sollte die Bundesregierung darauf hinarbeiten, dass Unternehmen in den Vertragsstaaten durch den Vertrag unmittelbar zur Einhaltung von Menschenrechten verpflichtet werden, um es so zu erleichtern, in internationalen Schiedsverfahren menschenrechtliche Interessen mit Investor*inneninteressen in einen stärkeren Ausgleich zu bringen. Derzeit ist das nach Meinung vieler Experten mangels Verpflichtung der Unternehmen auf
Menschenrechtsstandards nicht möglich. Schiedsgerichte sind Bestandteil von über 3.000
Handels- und Investitionsschutzabkommen. Diese Schiedsgerichtsbarkeit bietet Investor*innen die Gelegenheit, bei Verletzungen ihrer Eigentumsrechte und Gewinnerwartungen auf Ersatzzahlungen zu klagen.
Dieses grundsätzlich berechtigte Interesse an einem rechtsstaatlichen Schutz von Investitionsinteresse ist allerdings sehr einseitig: Es wird oftmals in den Abkommen nicht klargestellt, dass gerade Menschenrechte und Umweltschutz Einschränkungen durch Regulierung rechtfertigen können, wie das etwa im Bereich der europäischen Grundfreiheiten oder deutschen Grundrechte anerkannt ist. Daher muss klargestellt werden, dass in Schiedsverfahren und weiteren Streitbeilegungsmechanismen zum Investitionsschutz die menschenrechtlichen Regulierungspflichten der Staaten als Rechtfertigung der Einschränkung von Investor*innenrechten dienen können, wodurch in Investitionsschutzverfahren bei Überwiegen der menschenrechtlichen Interessen Investor*innenansprüche abgewiesen werden können. Entsprechende Modelle werden nach
dem grundsätzlichen Bekenntnis der ECOWAS in Art. 14 (2) Zusatzgesetz über Investitionen der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten (ECOWAS)
in Afrika bereits implementiert, etwa in Art. 18 (2) des Investitionsabkommens von Marocco und Nigeria(2016). Diesem Modell sollten EU-Investitionsschutzabkommen in Zukunft folgen,
bestehende Abkommen müssen entsprechend neu verhandelt werden. Auch im allgemeinen Recht des Internationalen Handels, dem GATT der WTO, ist eine Berücksichtigung von Menschenrechten und Umweltschutz als Rechtfertigung für handelsrelevante Maßnahmen der Vertragsstaaten aufzunehmen. Der jetzige Art. XX GATT lässt eine derartige Auslegung nur in sehr engen Grenzen zu, was Staaten davon abschreckt, im Interesse von Menschenrechten und Umweltschutz handelsrelevante Maßnahmen zu ergreifen („ChillingEffect“), da sie befürchten müssen, in WTO und Investitionsschutzschiedsverfahren dafür belangt zu werden. Zusätzlich ist sicherzustellen, dass nicht nur die Verletzung von Investor:inneninteressen, sondern auch von Umwelt- und Sozialstandards Konsequenzen hat. Dazu muss die EU ihre Handelspolitik entsprechend neu ausrichten, indem in Handelsabkommen umfassende Umwelt- und Sozialstandards und das Vorsorgeprinzip inkl. Sanktionen bei deren Nichteinhaltung verankert werden.
PDF:
Beschluss:
Annahme in geänderter Fassung
Text des Beschlusses:
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