Der Landesparteitag der SPD Hamburg möge zur Weiterleitung an den Bundesparteitag der SPD beschließen:
Die SPD-Fraktion der Hamburgischen Bürgerschaft und die Bundestagsfraktion sowie die sozialdemokratischen Mitglieder des Senats und der Bundesregierung sind aufgerufen, sich umgehend für eine Bundestags- und Bundesratsinitiative einzusetzen mit den folgenden Zielsetzungen:
- Die Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen wird zur Staatsaufgabe mit hoher Priorität erklärt.
- Zeitnah, angedacht ist ein Zeitraum bis Ende 2022, wird ein Runder Tisch mit Vertreter: innen aus Politik, Verwaltung/Behörden, Justiz, Zivilgesellschaft, Medienlandschaft, Forschung und Bildung eingerichtet mit dem Ziel:
- Erarbeitung eines Abkommens zwischen Bund und Ländern zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen, das konkrete Ziele, Maßnahmen und Projekte zur Umsetzung festlegt.
- Für die Projekte und Maßnahmen zur Umsetzung der im Abkommen unter Ziffer 2a benannten Ziele werden im Bund und den Ländern Haushaltsmittel in erforderlichem Umfang bereitgestellt.
- Die zur Erreichung der im Abkommen ergriffenen Maßnahmen und Projekte werden regelhaft evaluiert und gegebenenfalls nachgesteuert.
- Bund und Länder erarbeiten einen „Ad-hoc-Nothilfeplan“ zur kurzfristigen Unterstützung von durch geschlechtsspezifische Gewalt betroffenen Opfern oder gefährdeten Frauen und Mädchen. Hierzu zählen insbesondere die schnelle Bereitstellung von weiteren finanziellen Mitteln für die Schaffung von Frauenhäusern und übergangsweise die Bereitstellung von Mitteln für die Unterbringung in anderen geeigneten Einrichtungen wie beispielsweise Hotels.
Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen ist ein weltweites Problem. Wir in Deutschland haben dieses Problem auch. Gewalt an Frauen in Deutschland zieht sich durch alle Milieus und gesellschaftlichen Schichten. Das und die negativen Folgen, die sich daraus für uns alle ergeben, machen es zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem, welches sich folglich nur durch einen breiten politischen und zivilgesellschaftlichen Schulterschluss lösen lässt.
Das Problem in Zahlen und Fakten:
- In Deutschland gibt es jeden Tag einen polizeilich registrierten Tötungsversuch an einer Frau.
- Jeden dritten Tag stirbt eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners.[1],[2]
- In Deutschland wird täglich eine Frau Opfer durch einen Angriff durch ihren (Ex)Partner.[3]
- In Deutschland wurden 114.903 Anzeigen wegen häuslicher Gewalt gestellt.[4]
Dieses Bild ergibt sich aus der kriminalstatischen Auswertung zur Partnerschaftsgewalt in Deutschland. Die Dunkelziffer liegt wesentlich höher.
Weitere Anmerkungen
Aus dem spanischen Gesetz gegen geschlechtsspezifische Gewalt: „Geschlechtsspezifische Gewalt ist kein Problem, das die Privatsphäre betrifft. Im Gegenteil, es manifestiert sich als das brutalste Symbol für Ungleichheit in unserer Gesellschaft. Es ist eine Gefahr, die sich gegen Frauen richtet, weil sie Frauen sind, weil sie von ihren Angreifern als rechtlos angesehen werden: ohne Recht auf Freiheit, Recht auf Respekt, Recht auf eigene Entscheidung.“
Der Umgang mit Gewalt an Frauen in anderen Ländern wie Spanien oder Argentinien hat gezeigt, dass es insbesondere die Zivilgesellschaft war, die das Thema in den Fokus gerückt hat. Ein gesamtgesellschaftliches Problem kann nur durch Mitwirkung aller relevanten Ebenen erfolgen.
Die Politik muss die bereits vereinbarten Regelungen wie die Istanbul Konvention verbindlich anwenden und das Thema geschlechtsspezifische Gewalt auf die Agenda setzen. Hier braucht es einen Schulterschluss aller demokratischen Parteien über die jeweilige Legislaturperiode und etwaige Wahlkämpfe hinaus.
In den Medien wird in Spanien regelmäßig an vorderster Stelle in den Nachrichten berichtet, wenn wieder eine Frau von ihrem (Ex)Partner ermordet worden ist, zusammen mit der Information, der wievielte Mord es in dem jeweiligen Jahr bereits ist. Hierbei wird der Begriff „Femizid“ verwendet und auf irreführende, verharmlosende Begriffe wie „Verbrechen aus Leidenschaft“, „Familientragödie“ oder „Tödliches Eifersuchtsdrama“ und das Rücken der Täter ins Zentrum der Berichterstattung verzichtet. Nur wer die Dinge richtig beim Namen nennt und aufklärt, vermittelt das richtige Bild eines strukturellen Problems und betreibt nicht Täter-Opfer-Umkehr.
Die Datengrundlage in der Forschung zu Femiziden ist schwierig, die Dunkelziffer – insbesondere vor dem Hintergrund von Corona – liegt Expert: innen zufolge wesentlich höher. Auch wird noch nicht ausreichend geforscht zu den Hintergründen geschlechtsspezifischer Gewalt. Nur wer das Warum versteht und Muster erkennt, kann zielgerichtet gegensteuern und präventiv arbeiten.
In der Bildung muss bereits in Kitas und Schulen das Thema Gleichberechtigung und Geschlechtergerechtigkeit thematisiert werden und Lehrkräfte hierzu geschult und ausgebildet werden. Nur wer früh falschen Rollenbildern und Verhaltensmustern entgegenwirkt, handelt präventiv.
In der Justiz und Gesetzgebung muss noch einiges nachgeholt werden:
- Überprüfung der derzeitigen Gesetzgebung insbesondere hinsichtlich der durch das Grundsatzurteil des BGH aus dem Jahre 2008 eingetretenen Täter-Opfer-Umkehrung bei der Unterscheidung zwischen Totschlag und Mord.
- Verbesserter Opferschutz.
- Verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings.
- Bessere Überwachung von Gewalttätern.
- Begleitung und Betreuung von Angehörigen von Femiziden.
- Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften zur Beschleunigung von Verfahren.
- Überprüfung des Umgangsrechts mit Kindern in Partnerschaftskonflikten.
Nur wer Opfer rechtlich besser schützt und seine Gesetzgebung danach ausrichtet, bekämpft geschlechterspezifische Gewalt tatsächlich.
Die Verwaltung/Behörden sind aufgefordert, besser zusammenzuarbeiten. In den Bundesländern werden Daten zu geschlechtsspezifischer Gewalt nach unterschiedlichem Muster erhoben, sie arbeiten mit unterschiedlichen Ansätzen zur Risikoeinschätzung. Das erschwert die Auswertung und das Ziehen von Rückschlüssen. Nur wenn geschlechtsspezifische Gewalt in allen Bundesländern bestmöglich bekämpft und dafür gesorgt wird, dass durch Best-Practice voneinander gelernt und Wissen und Konzepte geteilt werden, bekämpft geschlechtsspezifische Gewalt effektiv.
[1] Backes, Laura, Bettoni, Margherita (2021): Alle drei Tage. Warum Männer Frauen töten und was wir dagegen tun müssen, Deutsche Verlags-Anstalt, S. 12 ff.
[2] https://www.ndr.de/kultur/Femizide-in-Deutschland-Wenn-Maenner-Frauen-toeten,femizid100.html.
[3] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuetzen/haeusliche-gewalt.
[4] Backes, Laura, Bettoni, Margherita (2021): Alle drei Tage. Warum Männer Frauen töten und was wir dagegen tun müssen, Deutsche Verlags-Anstalt, S. 34 ff.
Der Landesparteitag der SPD-Hamburg möge zur Weiterleitung an den Bundesparteitag der SPD beschließen: Die SPD bekräftigt, dass die Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen eine wichtige staatliche Aufgabe von hoher Priorität ist, deshalb soll zeitnah, bundesweit ein Runder Tisch mit Vertreter: innen aus Politik, Verwaltung/Behörden, Justiz, Zivilgesellschaft, Medienlandschaft, Forschung und Bildung eingerichtet werden, um 1. ein Abkommen oder Programm von Bund und Ländern zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu erarbeiten, das konkrete Ziele, Maßnahmen und Teil-Projekte zur Umsetzung und besseren Koordination bis Ende 2024 festlegt. 2. Die zur Erreichung der im Abkommen ergriffenen Maßnahmen und Projekte werden regelhaft evaluiert und gegebenenfalls nachgesteuert. 3. Für die Projekte und Maßnahmen werden im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung von Bund und Ländern Haushaltsmittel in erforderlichem Umfang bereitgestellt. In der Zwischenzeit möge die SPD sich dafür einsetzen, dass ein Nothilfeplan zur kurzfristigen Unterstützung von durch geschlechtsspezifische Gewalt betroffenen oder gefährdeten Frauen und Mädchen erarbeitet wird.