2022/II/Recht/11 §219a ist nur der Anfang – Abtreibungsrecht grundlegend reformieren und Schwangerschaftsabbrüche erleichtern!

Der Landesparteitag der SPD Hamburg möge mit dem Ziel der Weiterleitung an den Bundesparteitag der SPD beschließen:

Die SPD-Bundestagsfraktion und die Bundesregierung werden dazu aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass Schwangerschaftsabbrüche vollkommen entkriminalisiert und der Zugang zu ihnen stark erleichtert wird, so wie es auch im SPD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021 vorgesehen ist.

Wir fordern (zusätzlich):

  • Die zügige Streichung der §218 ff. aus dem Strafgesetzbuch und eine umfassende gesetzliche Neuregelung. Sofern eine strafrechtliche Sanktionierung von Schwangerschaftsabbrüchen verfassungsrechtlich weiterhin erforderlich ist, ist diese derart zu gestalten, dass Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich erlaubt und nur in den von Verfassungs wegen gebotenen Ausnahmefällen verboten sind.
  • Den Ausbau der Versorgungslage, vor allem in ländlichen Gebieten, z. B. durch das Anbieten von Schwangerschaftsabbrüchen als Grundversorgung in Krankenhäusern.
  • Den Schutz von schwangeren Personen und Ärzt:innen, die Abbrüche vornehmen. Diese sehen sich immer stärkeren Bedrohungen von Abtreibungsgegner:innen ausgesetzt.
  • Schwangerschaftsabbrüche müssen Gegenstand der fachärztlichen Ausbildung von Gynäkolog:innen werden. Gynäkolog:innen werden, damit diese im Notfall ihrem hippokratischen Eid Folge leisten und Leben retten können.
  • Die kostenfreie Bereitstellung von Verhütungsmitteln, wie z.B. Kondomen und Verhütungspillen, um ungewollten Schwangerschaften vorzubeugen.
Begründung:

Schwangere müssen das Recht haben, über sich und ihren Körper frei zu entscheiden. Dazu gehört auch das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung.

In der heute gültigen strafgesetzlichen Regelung ist der Schwangerschaftsabbruch immer noch rechtswidrig. Er bleibt bis zur zwölften Schwangerschaftswoche lediglich straffrei, aber eben nicht legal. Hinzu kommt eine entmündigende, gesetzlich verordnete „Konfliktberatung“, ohne die ein Schwangerschaftsabbruch nicht durchzuführen ist. Daran ändert auch die Streichung des §219a StGB nichts.

Die aktuelle Regelung hat den Zweck, Schwangeren den Schwangerschaftsabbruch zu erschweren. 1992 beschloss der Bundestag, dass Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Schwangerschaftswoche generell nicht rechtswidrig sein sollten. Das BVerfG intervenierte und stellte die „Rechtspflicht zum Austragen des Kindes“ vor die Grundrechte der Frau:

„Grundrechte der Frau tragen nicht so weit, dass die Rechtspflicht zum Austragen des Kindes – auch nur für eine bestimmte Zeit – generell aufgehoben wäre.“[1]

Dazu wurde der Staat ermahnt, die Beratung so zu konzipieren, dass sie den Betroffenen den Schwangerschaftsabbruch ausredet:

„Ein solches Beratungskonzept erfordert Rahmenbedingungen, die positive Voraussetzungen für ein Handeln der Frau zugunsten des ungeborenen Lebens schaffen. Der Staat trägt für die Durchführung des Beratungsverfahrens die volle Verantwortung.“[2]

Die strafrechtliche Regelung der §218 ff. StGB, die auf der Entscheidung des BVerfG beruht, entmündigt Betroffene und verweigert ihnen durch die sog. „Konfliktberatung“ eine würdevolle, selbstbestimmte Entscheidung. Es steht außer Frage, dass Betroffenen in tatsächlichen Konfliktsituationen eine einfach zugängliche, anonyme Beratungsmöglichkeit zur Verfügung stehen sollte. Durch eine allgemeine Verpflichtung zur Beratung wird jedoch allen Schwangeren pauschal und per Gesetz die Fähigkeit abgesprochen, eigenständige Entscheidungen zu treffen. Der medizinische Eingriff wird moralisch aufgeladen, wodurch schwangeren Personen ein innerlicher Konflikt aufgezwungen wird, der für viele gar nicht besteht. Die langjährige Kriminalisierung hat ein gesellschaftliches Tabu rund um das Thema Schwangerschaftsabbruch geschaffen, das der Bundestag schon 1992 überwinden wollte.

Auch die medizinische Versorgungssituation wird stetig kritischer, da immer weniger Ärzt:innen Schwangerschaftsabbrüche durchführen. In einigen ländlichen Gegenden Bayerns beträgt der Fahrweg zur nächsten Abtreibungspraxis bereits über 2 Autostunden.

Dies hat unter anderem zwei Gründe:

  1. Aufgrund der strafgesetzlichen Regelung wird der Schwangerschaftsabbruch kaum zum Gegenstand der gynäkologischen Fachärzt:innenausbildung gemacht, was zusätzlich zu der mangelhaften medizinischen Versorgung in Deutschland beiträgt.
  2. Die Bedrohungslage von niedergelassenen Gynäkolog:innen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, ist in den letzten Jahren nicht zuletzt durch die sozialen Medien stark angestiegen. Dadurch können sie ihren Beruf nicht ungestört und angstfrei ausüben.

Abtreibungsgegner:innen belästigen allerdings nicht nur Ärzt:innen, sondern gehen als sog. „Gehsteigberatung“ gezielt vor Einrichtungen und Praxen auf schwangere Personen ein. Schwangere, die sich vor einem Abbruch in einer sensiblen emotionalen Lage befinden können, werden dadurch unnötig und nahezu unmenschlich unter Druck gesetzt.

Die jetzt geplante Streichung des Paragrafen 219a StGB begrüßen wir, sagen aber auch ganz deutlich: Es ist ein Anfang, aber es reicht uns nicht!

Es heißt auf Seite 43 im Wahlprogramm der SPD: „Frauen und Paare, die sich in einer Konfliktsituation für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, brauchen Zugang zu Informationen und einer wohnortnahen, guten medizinischen Versorgung – das gilt ambulant wie stationär. Deshalb müssen Länder und Kommunen dafür sorgen, dass Krankenhäuser, die öffentliche Mittel erhalten, Schwangerschaftsabbrüche als Grundversorgung anbieten. Wir erkennen die Verantwortung und das Selbstbestimmungsrecht von Frauen an und wollen auch deshalb den Paragraphen 219a abschaffen. Zudem stellen wir in Hinblick auf die Paragraphen 218 ff. fest: Schwangerschaftskonflikte gehören nicht ins Strafrecht.“

Wir sind an der Regierung und stellen den Bundeskanzler: Setzen wir also endlich unser eigenes Wahlprogramm um!

[1] BVerfGE 88, 203 (204)

[2] ebd.

Beschluss: Annahme in geänderter Fassung
Text des Beschlusses:

Der Landesparteitag der SPD-Hamburg möge mit dem Ziel der Weiterleitung an den Bundesparteitag der SPD beschließen: Die SPD-Bundestagsfraktion und die Bundesregierung werden dazu aufgefordert, sich für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und einen erleichterten Zugang einzusetzen. Dazu fordern wir:

  • Eine zügige und umfassende gesetzliche Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen, die die bisherigen §218 ff. StGB außerhalb des Strafgesetzbuches ersetzt und Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich erlaubt, soweit diese im Einvernehmen mit der Schwangeren vorgenommen werden.

Dabei wird im Gesetzgebungsprozess geprüft werden, bis wann ein Schwangerschaftsabbruch vertretbar ist und welche Ausnahmen für Härtefälle bestehen sollen/können.

  • Den Ausbau der Versorgungslage, vor allem in ländlichen Gebieten, z. B. durch das Anbieten von Schwangerschaftsabbrüchen als Grundversorgung in Krankenhäusern.
  • Den Schutz von schwangeren Personen und Ärzt:innen, die Abbrüche vornehmen. Diese sehen sich immer stärkeren Bedrohungen von Abtreibungsgegner:innen ausgesetzt.
  • Schwangerschaftsabbrüche müssen Gegenstand der fachärztlichen Ausbildung von Gynäkolog:innen werden.
  • Die kostenfreie Bereitstellung von Verhütungsmitteln, wie z.B. Kondomen und Verhütungspillen, um ungewollten Schwangerschaften vorzubeugen.
Beschluss-PDF:
Überweisungs-PDF: