Der Landesparteitag der SPD Hamburg möge zur anschließenden Weiterleitung an den SPD Bundesparteitag, sowie zur Kenntnisnahme an den Landesvorstand der SPD Hamburg, beschließen:
1. Die SPD lehnt jede Umstellung der täglichen Höchstarbeitszeit auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit ab. Die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion sowie die sozialdemokratischen Mitglieder des Kabinetts werden aufgefordert, entsprechende Gesetzesänderungen nicht zu unterstützen.
2. Die Funktionär*innen und Mandatsträger*innen der SPD werden aufgefordert, sich in der von der CDU angestoßenen Debatte um Mehrarbeit entschieden gegen jede politische Maßnahme zu stellen, die eine Ausweitung oder Flexibilisierung der Arbeitszeit oder sonstige Verschlechterung der Arbeitsbedingungen darstellt.
Acht Stunden arbeiten, acht Stunden schlafen und acht Stunden Freizeit und Erholung“ – mit diesem Slogan begründete Robert Owen eine der ältesten und zentralsten Forderungen der Arbeiter*innenbewegung. 1869 wurde der Achtstundentag von der Sozialdemokratie erstmalig gefordert und schließlich 1918 durchgesetzt.
Heute ist klarer denn je: Lange Arbeitszeiten wirken sich negativ auf die physische und psychische Gesundheit aus. Die Wahrscheinlichkeiten für Herzkreislauf- und Stoffwechselerkrankungen steigen, genauso wie das Burnout-Risiko oder die Anzahl krankheitsbedingter Fehltage. Allein das Fehler- und Unfallrisiko steigt nach 8 Stunden am Tag exponentiell an, ebenso spürbar sinkt die Produktivität bereits nach über 8 und besonders nach über 10 Stunden. Solche Belastungen wären weder für Arbeitnehmer*innen noch für unser Gesundheitssystem sinnvoll.
Trotzdem lancieren Bundeskanzler Friedrich Merz und weitere CDU-Funktionäre seit Wochen einen breiten Angriff auf den Achtstundentag. Dass es dabei um etwas anderes geht als die Flexibilisierung zum Vorteil der Arbeitnehmer, sondern schlicht um die Schaffung des rechtlichen Rahmens für die Verpflichtung von 45 Millionen Erwerbstätigen zu mehr Arbeit unter für sie ungünstigen, für die Unternehmen profitableren Bedingungen, wird durch die parallel dazu aus der Union begonnene Debatte um die volkswirtschaftsschädliche Work-Life-Balance und die vermeintlich generell schlechte Arbeitsmoral der Deutschen deutlich. Tatsächlich ermöglicht das Arbeitszeitgesetz bereits heute eine tägliche Höchstarbeitszeit von 10 Stunden, die im Verlauf von 6 Monaten allerdings ausgeglichen werden muss. Das soll nicht reichen? Wofür eigentlich soll in Zukunft mehr gearbeitet werden?
Seit 1991 ist die Arbeitsproduktivität pro Stunde in Deutschland um 40% gestiegen. Die Reallöhne stiegen in der gleichen Zeit um 13%. Der Löwenanteil der gestiegenen Wertschöpfung wurde von einigen Spitzenverdiener*innen (Managergehälter stiegen in den letzten 5 Jahren um den 56-fachen Wert der Reallöhne) und den milliardenschweren Großaktionär*innen der maßgeblichen Unternehmen einbehalten. 55% der Vermögenszuwächse seit 2012 landeten bei den reichsten 1%.
Währenddessen befürchten 61 % der Bundesbürger*innen an Überlastung zu erkranken, jede*r Fünfte stuft die Gefahr, an Burnout zu erkranken, als hoch ein. 2023 stieg die Zahl der tatsächlich an Burnout Erkrankten um 20 % gegenüber dem Vorjahr, als Gründe wurden insbesondere Termindruck und Überstunden genannt.
Besonders prekär Beschäftigte – ob im Handel, in der Paketzustellung oder Gastronomie – sind auf den gesetzlichen Schutz durch § 3 ArbZG angewiesen. In Betrieben ohne Tarifvertrag oder betriebliche Mitbestimmung sind diese gesetzlichen Regelungen oft der einzige Schutz für Arbeitnehmer*innen. Bei einer Aufweichung würden sie diesen Schutz verlieren.
Prekäre Beschäftigung, ungesunde Arbeitsverhältnisse und daneben immer mehr Reichtum für einige Wenige: Das alles braucht niemanden zu wundern.
Zweck kapitalistischen Wirtschaftens ist nicht das Wohlergehen aller, sondern Gewinnmaximierung für Wenige. Mittel dafür ist die Arbeit der Arbeitenden. In der Konkurrenz der Unternehmen setzt sich durch, wer mehr, besser oder billiger produziert als die Konkurrenz. Bevorzugtes Mittel dafür ist die Produktivitätssteigerung durch technologischen Fortschritt, die sich bei den Beschäftigten durch Intensivierung und Verdichtung der Arbeitszeit bemerkbar macht: Wer für das Meeting nicht mehr ins Büro fahren muss, sondern über Zoom teilnimmt, spart dadurch Zeit, in der andere Arbeit geleistet werden kann und in der Folge auch muss. Sobald aber die Produktivitätssteigerungen nicht mehr ausreichen, um in der Konkurrenz zu bestehen, wird auf schlichte Ausdehnung des Arbeitstages abgestellt. Das erleben wir jetzt.
Für uns als Sozialdemokrat*innen geht es dabei nicht nur darum eine der symbolreichsten und wichtigsten Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung zu verteidigen, sondern auch prekär Beschäftigte vor weiteren gesundheitlichen Risiken und noch härterer Ausbeutung zu schützen. Gelingen kann uns das nur kollektiv. Will die SPD eine Partei sein, welche die Interessen der arbeitenden Bevölkerung glaubwürdig vertritt, muss sie dieses Kollektiv werden und sich der angestrebten Arbeitszeitverlängerung und -flexibilisierung entschieden entgegenstellen!