Der Landesparteitag möge beschließen:
Die SPD Hamburg begrüßt, dass in den Opernstandort Hamburg nachhaltig investiert werden soll. Zudem wird die SPD Hamburg dafür Sorge tragen und auf den Senat und die Bürgerschaft einwirken, dass im Zusammenhang mit der geplanten und von Klaus-Michael Kühne finanzierten neuen Oper die Firmengeschichte von Kühne + Nagel während der NS-Zeit aufgearbeitet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, dabei sind insbesondere folgende Maßnahmen durchzuführen:
• Aufklärung darüber, ob eine unabhängige Studie zur Firmengeschichte mit einem Kapitel zur NS-Geschichte existiert, wie von dem Investigativ-Journalisten David de Jong behauptet und von Klaus-Michael Kühne abgestritten wird;
• Veröffentlichung der Studie, sofern sie existiert;
• Aufklärung darüber, ob und in welchen Umfang Archivunterlagen aus der NS-Zeit im Firmenarchiv vorhanden sind, wie von dem Investigativ-Journalisten David de Jong angenommen und von Klaus-Michael Kühne abgestritten wird;
• ein eventuell vorhandenes Kühne-Archiv der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vollumfänglich zugänglich gemacht wird;
• sofern es keine Studie zur NS-Geschichte gibt, hat Kühne + Nagel eine umfassende Untersuchung der Firmengeschichte während der NS-Zeit durch unabhängige Historiker*innen zu beauftragen, ein Vorhaben, das auch bei unzureichendem Quellenbestand im Firmenarchiv durch die Nutzung externer Archive durchgeführt werden kann und dementsprechend durchzuführen ist.
Der Milliardär Klaus-Michael Kühne ist der Erbe und Hauptanteilseigner des Logistikkonzerns Kühne + Nagel, dessen Hauptsitz er in die Schweiz verlegt hat. Er ist ein bedeutender Sponsor in seiner Heimatstadt Hamburg in den Bereichen Sport, Bildung und Kultur und könnte sich nun mit der Finanzierung einer neuen Oper in der Stadt verewigen. Die Rolle seines Unternehmens zuzeiten des Nationalsozialismus lässt er jedoch nicht gründlich, unabhängig und für die Öffentlichkeit zugänglich aufarbeiten und hält Informationen unter Verschluss.
Alfred Kühne, der Vater von Klaus-Michael Kühne, und dessen Bruder Werner Kühne profitierten vom Naziregime und der Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden. Der jüdische Kaufmann und damals mit 45 % größter Anteilseigner der noch jungen Firma Kühne + Nagel, Adolf Maass, wurde 1933 unter der stattfindenden Arisierung aus dem Unternehmen gedrängt. Anschließend traten die Kühne-Brüder der NSDAP bei. Adolf Maass und seine Frau Käthe wurden 1945 im KZ Auschwitz ermordet. 1937 erhielt das Unternehmen Kühne + Nagel den Ehrentitel „Nationalsozialistischer Musterbetrieb“. Ebenfalls als Teil der Arisierung wurde 1938 der jüdische Eigentümer Leo Lewitus von den NS-Behörden dazu gezwungen seine Hamburger Niederlassung des tschechischen Transportunternehmens Alfred Deutsch an Kühne + Nagel zu verkaufen. Zwischen 1942 und 1944 transportierte das Unternehmen im Rahmen der „M-Aktion“, eine Abkürzung für „Möbelaktion“, das geraubte Eigentum deportierter Bewohner:innen aus dem besetzten Westeuropa nach Nazi-Deutschland. Es war führend in diesem Bereich und erhielt lukrative Staatsaufträge. Nach 1945 gab es keine Konsequenzen für die Kühne-Brüder. Sie behaupteten unter anderem, Adolf Maass habe die Firma freiwillig verlassen.
Während andere bekannte deutsche Unternehmen ihre Vergangenheit aufarbeiten, hält Kühne die Geschichte seiner Firma unter Verschluss. Wenn Kühne mittlerweile auch Bedauern an den Geschehnissen zuzeiten des Nationalsozialismus und der Involvierung des Unternehmens äußert, lässt er eine umfassende öffentliche Aufarbeitung jedoch nicht zu. In einem kürzlich erschienenen Artikel des Investigativ-Journalisten David de Jong im US-Magazin „Vanity Fair“ wurde berichtet, dass Kühne anlässlich des 125-jährigen Jubiläums seiner Firma eine Studie zur gesamten Firmengeschichte beim Handelsblatt Research Institute in Auftrag gegeben habe. Er habe hierfür den Zutritt zu den Firmenarchiven gewährt. Die Anfang 2015 beendete 150-seitige Studie, welche auch ein Kapitel zur NS-Zeit enthalte, wolle Kühne jedoch bis heute nicht veröffentlichen und lasse nicht zu, dass andere Historiker:innen Einblicke in die Archive gewinnen.
Mit der Kühne-Stiftung als Hauptsponsor wurde seit 2010 der Klaus-Michael Kühne-Preis im Rahmen des Harbour Front Literaturfestivals vergeben. Aus Kritik an der mangelnden Aufarbeitung der Rolle der Firma zuzeiten des Nationalsozialismus lehnten der Autor Sven Pfizenmaier und die Autorin Franziska Gänsler 2022 ihre Nominierungen für den Preis ab. Die Kühne-Stiftung zog sich als Sponsor zurück und der Preis wurde in „Debütpreis des Harbour Front Literaturfestivals“ umbenannt.
Kritische Stimmen gegenüber Klaus-Michel Kühne und dem Unternehmen Kühne + Nagel sind also nicht neu, wie auch die immer wiederkehrende Berichterstattung über Klaus-Michael Kühne zeigt, und werden sich bei dem Bau einer von ihm finanzierten Oper mehren. Seit Bekanntgabe des Opernprojektes haben sich diese kritischen Stimmen gemehrt. Nicht nur deshalb ist es wichtig, dass ein öffentlich geführter Diskurs unter Beteiligung von Experten zu der Verstrickung des Unternehmens und seiner Eigentümer mit dem NS-Regime stattfindet.
Ziel muss es sein, das jahrzehntelange Engagement in der Erinnerungskultur Hamburgs nicht durch eine von Kühne finanzierte Oper zu beschädigen. Wenn der Bau einer neuen Oper in Hamburg auch zu unterstützen ist, sollten jedoch nicht Spenden eines Unternehmers entgegengenommen werden, dessen Reichtum unter anderem in den vom Vater gebilligten Verbrechen der NS-Zeit begründet liegt, ohne dass dieser Umstand von Klaus-Michael Kühne öffentlich anerkannt sowie transparent und umfassend aufgearbeitet wurde. Gerade für uns Sozialdemokrat:innen ist die Aufarbeitung der NS-Zeit historische Verpflichtung. Zudem muss mit einem erheblichen Imageschaden für die Stadt Hamburg gerechnet werden, sollten die Informationen über die Firmengeschichte von Kühne + Nagel nach einer beschlossenen Zusammenarbeit mit der Kühne-Stiftung beim Bau einer neuen Oper nicht breit in der deutschen Presse und Öffentlichkeit debattiert werden. Auch um die Demokratie zu schützen, ist es von großer Bedeutung, die Zeit des Dritten Reichs und die Auswirkung seiner Geschichte bis in die heutige Zeit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und hierbei selbst bei einem generösen Spender keine Ausnahme zu machen. Da dies natürlich nicht nur auf die Zusammenarbeit mit Kühne zutrifft, wäre es wünschenswert, dass einer ähnlichen Vorgehensweise bei anderen Großprojekten gefolgt wird.
Der Landesparteitag möge beschließen:
Die Aufarbeitung des Handelns Hamburger Behörden und Unternehmen während der NS-Herrschaft ist noch lange nicht abgeschlossen. In vielen Bereichen existieren bis heute große Lücken, die wir schließen wollen. Auch um die Demokratie zu schützen, ist es von großer Bedeutung, die Zeit des Dritten Reichs und die Auswirkungen der Geschichte bis in die heutige Zeit, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
In den letzten Jahren haben wir wichtige Aufarbeitungsprojekte ermöglicht. Die Finanzbehörde hat das Handeln der Steuerverwaltung während der NS-Zeit aufarbeiten lassen. Aktuell läuft eine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung der Arbeit der Kulturverwaltung zwischen 1933 und 1945. Die Bürgerschaft hat die NS-Vergangenheit der Abgeordneten der Nachkriegszeit untersuchen lassen. Auch im wirtschaftlichen Bereich gibt es vorbildliche Aufarbeitungsprozesse zum Beispiel durch die Handelskammer.
Wir wollen, dass diese Beispiele Schule machen. Sie sind Grundlage einer wirksamen Erinnerungskultur und Ausdruck des Willens, Verantwortung zu übernehmen. Wir erwarten, dass – soweit noch nicht geschehen – entsprechende Aufarbeitungsprozesse auch in anderen Behörden, öffentlichen Institutionen, Einrichtungen und Unternehmen stattfinden.
Der Landesvorstand wird zeitnah (bis zum nächsten ordentlichen Landesparteitag) eine Arbeitsgruppe (z.B. u.a. mit Vertretern des AK gegen Rechts und der AvS) einrichten, in der wir Leitlinien für diese Aufarbeitungsprozesse und für unsere Erwartungen an Unternehmen, Stiftungen und andere Institutionen, – wie zum Beispiel, aus aktuellem Anlass, die Unternehmen von Kühne + Nagel und der Kühne Holding AG – mit denen die Stadt zusammenarbeitet, oder zukünftig zusammen arbeitet wird, erarbeiten werden. Die Arbeitsgruppe berichtet dem Landesvorstand, und der Landesvorstand wird auf Senat und Bürgerschaft einwirken, damit die Ergebnisse der Arbeitsgruppe umgesetzt werden.