2024/I/Innen/5 Gewahrsam muss man sich leisten können – sofortige Rücknahme entsprechender Gebühren!

Status:
Annahme

Der Landesparteitag der SPD Hamburg möge beschließen:

Der Innensenator der Freien und Hansestadt Hamburg wird aufgefordert, die „Gewahrsamsgebühren“ zurückzunehmen.

Begründung:

Zum 01.01.2023 trat die geänderte Fassung der Anlage 1 zur Gebührenordnung für Maßnahmen auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SiOGebO) in Kraft. Bei der Gelegenheit hat die Behörde für Inneres und Sport jedoch nicht etwa inflationsbedingte Gebührenerhöhungen vorgenommen, sondern die polizeiliche Ingewahrsamnahme kostenpflichtig gemacht. Dies ist aus den nachstehenden Gründen problematisch.
1. Gerade Personen, die wegen potenzieller Selbstschädigungsgefahr in Gewahrsam genommen werden, befinden sich häufig in psychischen Ausnahmesituationen. Sie brauchen Hilfe, keine Kosten.
2. Es öffnet Machtmissbrauch und Willkür Tür und Tor. So steht es im Ermessen eines/einer Beamt*in, die Tür noch zwei Minuten länger geschlossen zu halten, bis die nächste volle Stunde angebrochen ist. Natürlich ist nicht zu befürchten, dass dies von allen Polizeibediensteten getan wird, jedoch ist es allein schon wegen der hohen Anzahl an Polizist*innen in Hamburg nicht auszuschließen, dass einzelne von derlei Tricks Gebrauch machen werden.
3. Begründet werden die Gebühren unter anderem damit, dass Ingewahrsamnahmen viel Zeit und Personal rauben. Inwiefern sich dies ändert, wenn die Polizist*innen von nun an penibel Buch über Kilometer, Zeit und anwesende Kolleg*innen führen müssen, bleibt offen.
4. Die Gebührenzusammensetzung ist intransparent und kann auch in gleichgelagerten Sachverhalten extrem abweichen. Findet die Gewahrsamnahme beispielsweise durch eine Zwei-Personen-Streife statt oder durch die größeren Polizeigruppierungen, die zum Beispiel rund um den Kiez nachts anzutreffen sind? Macht in Summe einen Unterschied von mehreren hundert Euro – auch wenn es in beiden Fällen nur zwei Beamte gebraucht hätte. Findet die Gewahrsamnahme direkt vor einer Polizeiwache statt oder in Landgebiet nahe der niedersächsischen Grenze? Die Zusammensetzung mutet willkürlich an und lässt Zweifel im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz aufkommen.
5. Ingewahrsamnahmen unterliegen keinem Richtervorbehalt, sondern werden ad hoc von den eingesetzten Beamt*innen entschieden. Eine Gebührenfestsetzung hat zur Folge, dass auch bei beispielweise wegen der Nichtausschöpfung milderer Mittel unberechtigten Ingewahrsamnahmen hohe Kosten auf die Betroffenen zukommen – es sei denn, sie stellen sich einem Widerspruchsverfahren und ggf. einem gerichtlichen Prozess. Da der Rechtsweg i. d. R. von sozioökonomisch Schwächergestellten seltener beschritten oder sogar gefürchtet wird, verschärft diese Maßnahme das ohnehin an dieser Stelle bestehende Ungleichgewicht in unserer Gesellschaft.
6. Unsere freiheitlich demokratische Grundordnung fußt maßgeblich auf dem verfassungsrechtlich verbrieften Recht, sich jederzeit zu versammeln und seine Meinung zum Ausdruck zu bringen. Jede – auch nur mittelbare – Einschränkung gehört argwöhnisch auf den Prüfstand gestellt. Der Gewahrsamsgebühr kommt jedoch genau diese Wirkung zu. Sie wird insbesondere sozioökonomisch Schwächergestellte von der Wahrnehmung ihrer Grundrechte abhalten, da sie Gefahr laufen, mit nicht tragbaren Kosten überzogen zu werden. Ein solch klassistischer Einschnitt in die Versammlungsfreiheit ist für uns Jungsozialist*innen und Sozialdemokrat*innen nicht hinnehmbar.

Beschluss: Annahme in geänderter Fassung
Text des Beschlusses:

Der Landesparteitag der SPD Hamburg möge beschließen:

Der zum 1. Januar 2023 eingeführte Gebührentatbestand, der die Erhebung von Kosten für Ingewahrsamnahmen regelt, soll so modifiziert werden, dass keine Kosten für die betroffenen Personen entstehen, wenn ihre Ingewahrsamnahme ohne eigenes Verschulden erfolgte. Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen Personen aufgrund psychischer Ausnahmezustände in Gewahrsam genommen werden.

Beschluss-PDF:
Überweisungs-PDF: