2022/II/Teilh/8 Schluss mit der Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt

Der SPD-Landesparteitag möge zur anschließenden Weiterleitung an den SPD-Bundesparteitag beschließen:

Die SPD-Bundestagsfraktion und die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung mögen sich für Folgendes einsetzten:

1.) § 19 AGG ist so anzupassen, dass Wohnraumvermietung vom zivilrechtlichen Benachteiligungsverbot erfasst wird.

2.) Der Begriff der Rasse ist aus dem AGG zu streichen und durch einen passenden Begriff zu ersetzen.

Begründung:

Das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hat das selbsterklärte Ziel Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen, vgl. § 1 AGG.

Zu diesem Zweck enthält unter anderem § 19 AGG ein zivilrechtliches Benachteiligungsverbot. Verstöße gegen dieses Verbot müssen gem. § 21 AGG beseitigt werden und können Schadensersatzansprüche nach sich ziehen. Insbesondere im für alle Menschen ohne Wohneigentum überlebenswichtigen Bereich der Mietverhältnisse ist der Schutz des AGG aber äußerst lückenhaft bzw. so gut wie nicht existent.

Dies hat verschiedene Gründe: Zum einen ist es zwar Zweck des AGG jede Benachteiligung aus den oben genannten Gründen zu verhindern. Das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot erfasst aber gem. § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG nur sog. „Massengeschäfte“, also solche Schuldverhältnisse, die typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen. Daneben sind gem. § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG solche Verträge erfasst, bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen. Beide Fälle decken Wohnungsmietverträge in aller Regel nicht ab. Diese beruhen in der Regel „wegen der längerfristigen Bindung der Parteien auf einer individuellen Auswahl des Vertragspartners und werden daher in seltenen Fällen gänzlich ohne Ansehung der Person abgeschlossen.“ (BeckOGK-AGG/Mörsdorf, § 19 Rn. 36.)

Zudem ordnet § 19 Abs. 5 Satz 3 AGG an, dass kein Fall des Abs. § 19 Absatz 1 Nr. 1 AGG vorliegt, wenn VermieterInnen nicht mehr als 50 Wohnungen zum nicht nur vorübergehenden Gebrauch vermietet. Hiermit wollte der Gesetzgeber klarstellen, „dass die Verneinung eines persönlichen Nähe- oder Vertrauensverhältnisses nicht bereits zur Annahme eines Massengeschäfts führt.“ (BT-Drs. 16/2022, 13.). Zugespitzt sagt der Gesetzgeber hier: „Als Vermieter*in darf man so lange potenziellen Mieter*innen einen Mietvertrag aus diskriminierenden Gründen vorenthalten, solange nicht mehr als 50 Wohneinheiten vermietet werden.“ Dies ist ein katastrophaler Zustand und für ein Gesetz, dass Diskriminierung eigentlich verhindern will nicht hinzunehmen.

Zusätzlich dazu, dass Wohnraummiete bereits nur in Ausnahmefällen unter das Benachteiligungsverbot fällt, enthält § 19 Abs. 5 Satz 1 AGG eine zusätzliche Einschränkung. Demnach findet das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot keine Anwendung auf Schuldverhältnisse, bei denen ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis der Parteien oder ihrer Angehörigen begründet wird. Gemäß Satz 2 kann dies bei Mietverhältnissen insbesondere der Fall sein, wenn die Parteien oder ihre Angehörigen Wohnraum auf demselben Grundstück nutzen. Diese Norm ist in Hinblick auf Benachteiligungen wegen der Rasse und ethnischen Herkunft nicht mit Unionsrecht vereinbar, da die Antidiskriminierungs-RL ein unbeschränktes Diskriminierungsverbot anordnet. Deshalb wird § 19 Abs. 5 Satz 1 und 2 bereits jetzt richtlinienkonform für die genannten Fälle nicht angewendet. Hier ist seit langem überfällig, das Gesetz der Rechtslage anzupassen. In diesem Zug sollte die Ausnahme für Mietverhältnisse gänzlich aus dem Gesetz gestrichen werden.

Beide angesprochenen Probleme, das weite Ausklammern von Mietverhältnissen aus dem Anwendungsbereich des AGG durch § 19 Abs. 1 Nr. 1 iVm Abs. 5 Satz 3 AGG sowie die zusätzlichen Ausnahmen in § 19 abs. 5 Satz 1 und 2 AGG müssen dringend geändert werden. Das AGG kann seinen Zweck der Verhinderung von Diskriminierungen nicht erfüllen, wenn es in einer seiner Kernnormen großen Raum darauf verwendet Diskriminierungen explizit zu erlauben. Hinzu kommt, dass Mietverhältnisse mehr als andere Vertragsverhältnisse dringend einen Diskriminierungsschutz brauchten. Auf kaum einem anderen Markt sind Menschen so vielen Benachteiligungen aufgrund ethnischer Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität ausgesetzt wie auf dem Mietmarkt. Gerade hier muss Diskriminierung aller Art bekämpft werden!

Natürlich wird ein so umfassender Diskriminierungsschutz von einigen als Beschneidung der Vertragsfreiheit und des Eigentumsrechts der Vermieter*innen gesehen werden. Im Wohnungsmarkt ist aber kein Platz für Diskriminierung. Wer das Eigentumsrecht des Art 14 GG in Stellung bringt, der muss auch hinnehmen, dass dieses Eigentum soziale Verpflichtungen mit sich bringt. Wer finanziell von der Vermietung von Wohnungen profitiert, hat kein Recht darauf potentielle MieterInnen zu diskriminieren. Dies gilt umso mehr als das Recht auf Wohnen eines der zentralsten Rechte in unserer Gesellschaft darstellt.

Die derzeitige Gesetzeslage ist nicht nur in Teilen europarechtswidrig, für ein Gesetz, das Diskriminierung bekämpfen will, ist sie geradezu zynisch. Mit ihr geht nämlich eine bedenkliche Anreizwirkung einher. Das Gesetz stellt Vermieter*innen einen Freifahrtschein zur Diskriminierung aus. Wir finden: Das muss aufhören.

Wir brauchen ein Gleichstellungsgesetz, das den Namen verdient. Deshalb: Schluss mit der Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt!

Beschluss: Annahme in geänderter Fassung
Text des Beschlusses:

Der SPD-Landesparteitag möge zur anschließenden Weiterleitung an den SPD-Bundesparteitag beschließen:

Die SPD-Bundestagsfraktion und die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung mögen sich für Folgendes einsetzen:

  1. Das Wort „Rasse“ im AGG ist durch ein geeignetes zu ersetzen.

2. Der Anwendungsbereich des 19 AGG ist bei privater Vermietung auch ohne sog. Massegeschäfte auf solche Fälle der Diskriminierung anzuwenden, die Geschlecht, Religion, Behinderung, Alter und sexuelle Identität betreffen.

Beschluss-PDF:
Überweisungs-PDF: